US-Armee will aus Fehlern lernen

Ein neues Feldhandbuch der US-Streitkräfte zur Aufstandsbekämpfung soll Lehren aus dem Irakkrieg ziehen. Die Autoren warnen vor Misshandlungen und übermäßiger Gewalt gegen die Bevölkerung und empfehlen stattdessen Kooperation

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Die US-Armee sowie die US-Marines sind gerade dabei, die letzten Kapitel einer neuen Militärdoktrin zu formulieren, die den Umgang und die Strategie hinsichtlich der Aufständischen im Irak neu festlegen soll. Die neue „Counterinsurgency doctrine“ soll, so berichtete gestern die New York Times, einige bittere Lektionen aus dem Irakkrieg berücksichtigen, sowie die Wohlfahrt und den Schutz von Zivilisten zum festen Bestandteil der militärischen Strategie machen. Die Doktrin soll, eingewoben in die praktischen Anweisungen eines Feldhandbuches der Gegenstrategie, im nächsten Monat veröffentlicht werden.

Ausdrücklich soll die neue Doktrin vor Praktiken warnen, die bislang angewandt werden. So rät das neue Feldhandbuch von übermäßig aggressiven Razzien und Überfällen ab. Auch von der Misshandlung von Gefangenen. Stattdessen betonen die Autoren die Bedeutung der Sicherheit von Zivilisten und die Priorität, die die US-Armee der Infrastruktur und ihrer Wiederherstellung geben müsse. Auch, möglichst schnell möglichst viele irakische Sicherheitskräfte auszubilden und einzusetzen wird nachdrücklich empfohlen.

Das neue Manual soll laut Recherchen der New York Times Bestandteil weitergehender Bemühungen sein, die Kultur eines Militärs zu verändern, das bislang seine Aufgabe in erster Linie im Gebrauch von Waffen gegen einen herkömmlichen Feind und der Umsetzung von Manövertheorien auf dem Schlachtfeld sah. „Die Armee wird dieses Handbuch zur Veränderung ihrer gesamten Kultur einsetzen, da sie sich in einem Übergangsprozess hin zum irregulären Krieg befindet“, sagte Jack Keane, ein pensionierter Vier-Sterne-General, der Zeitung. Keane diente während des Einmarsches in den Irak 2003 als Stabschef. „Allerdings hat die Armee nicht annähernd genug Ressourcen, vor allem Personal, um, während sie sich auf die neue Herausforderung einstellt, weiterhin ihrer globalen Verantwortung nachzukommen“, warnte Keane.

Der Entwurf beinhaltet Sätze wie „Je mehr Gewalt eingesetzt wird, desto weniger effektiv ist sie“. Das Manual will offenbar davor warnen, im Falle des Iraks auf ausschließlich militärische Lösungen zu setzen. „Taktischer Erfolg garantiert nichts“, ist eine dieser Schlussfolgerungen aus den drei wenig erfolgreichen Jahren seit der US-Invasion im April 2003. Ein weiterer: „Je mehr du deine Truppen schützt, desto weniger sicher bist du.“ Die Autoren empfehlen Einsatzleitern, auf die Kooperation mit der Bevölkerung zu setzen, um Informationen zu erhalten und ihre Bedürfnisse kennenzulernen.

„Nach dem Vietnamkrieg war die allgemeine Haltung des amerikanischen Militärs die, dass wir so einen Krieg nicht noch einmal führen wollen“, erklärt Conrad Crane, Direktor des Militärhistorischen Instituts des Army War College und einer der Ko-Autoren der neuen Doktrin. Die Armee sei darauf fokussiert gewesen, die Russen zu bekämpfen und alles andere zu ignorieren. Die unterliegende Theorie war, dass eine für große Schlachten trainierte Armee leicht mit kleineren Konflikten fertig werden dürfte, erst recht mit so überschaubaren Aufgaben wir Friedenssicherung und Bekämpfung von Aufständischen.

Da sich die im Einsatz befindlichen US-Soldaten im Irak schon bald mit einer nicht auf die Umstände abgestimmten Doktrin ausgestattet sahen, experimentierten verschiedene Einheiten mit verschiedenen Taktiken, meint Crane. Erschwerend hinzu käme, dass die Politiker keinerlei Konzepte für den Wiederaufbau des Iraks hätten. Die Vorbereitungen für eine Neufassung der Militärdoktrin haben vor einem Jahr begonnen.