Die Therapie wird wieder vertagt

Der Gesundheitsfonds soll erst 2009 kommen, teuer wird Gesundheit aber schon im nächsten Jahr. Ab April 2007 sollen auch Krankenkassen stärker konkurrieren

Es könnte 2009 zum großen Kassenwechsel kommen, wobei das eher die jungen Gesunden tun werdenFein raus sind die privaten Krankenversicherungen, sie müssen nur einen Basistarif anbieten

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Nach vielen schlaflosen Nächten waren sich Angela Merkel, Kurt Beck, Edmund Stoiber und alle Chefgesundheitspolitiker gestern einig: Jetzt schlafen wir erst einmal drüber und verschieben das Projekt bis zur nächsten Bundestagswahl. Der Koalitionsausschuss gab vor Sonnenaufgang bekannt: Das widerspenstige Kind der Koalition, der Gesundheitsfonds, soll erst zum 1. Januar 2009 das Licht der Welt erblicken. Mit dem Fonds wollte die Koalition die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenkassen beheben. Bleibt also alles beim Alten? Ja, wenn es um grundsätzliche Probleme geht. Doch bringt die Reform im Detail auch wichtige Veränderungen:

Besonders die Versicherten könnten in den nächsten zwei Jahren vermehrt unter Schlafproblemen leiden. Ihre Beiträge steigen 2007 um durchschnittlich 0,5 Prozent. Darüber hinaus müssen sich einige Versicherte ab 2009 auf einen Zusatzbeitrag einstellen. Kommt eine Kasse mit ihrem Geld nicht aus, dann kann sie von den Versicherten eine Extrazahlung verlangen. Die SPD bestand darauf, dass diese nur 1 Prozent des Einkommens betragen darf. Wer 3.000 Euro brutto verdient, müsste bis zu 30 Euro zusätzlich zahlen. Die CDU hat durchgesetzt, dass bis zu 8 Euro ohne Ansehen des Einkommens kassiert werden dürfen. Wer als Hartz-IV-Empfänger 400 Euro Einkommen hat, zahlt dann zwei Prozent. Will die Kasse 8,01 Euro von jedem, greift die Ein-Prozent-Regel, das heißt, der Hartz-IV-Empfänger zahlt höchstens 4 Euro.

Kassen können auch Beiträge zurückerstatten – falls sie wirtschaftlich arbeiten. Das können vor allem jene, deren Versicherte gut einzahlen, aber selten krank sind. Es könnte also ab 2009 zum großen Kassenwechsel kommen, wobei sich abzeichnet, dass die jungen Gesunden wechselwilliger sind als die Lahmen und Alten. Besonders die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die jetzt bereits zwei Drittel aller Erwerbslosen versichern, fürchten, auf den „schlechten Risiken“ sitzen zu bleiben.

Für die Kinder spendiert der Staat ab 2008 1,5 Milliarden Euro. Daraus sollen irgendwann 15 Milliarden Euro werden – so viel wird gebraucht, um Kinder beitragsfrei zu versichern. Schon ab nächstem Jahr können Eltern gemeinsame Kuren mit den Kleinen auf Rezept erhalten. Die Kuren gehören dann zur Regelleistung. Auch Impfungen sollen in den Leistungskatalog aufgenommen werden.

Die gesetzlichen Krankenkassen können ab April 2007 untereinander verstärkt in Wettbewerb treten. Sie dürfen sich zum Beispiel zusammenschließen und mit Pharmaherstellern Rabatte aushandeln. Damit alle gleiche Chancen haben, sollen alle Kassen bis Dezember 2007 schuldenfrei sein. Diese Frist könnte auch noch ausgeweitet werden. Wenn der Gesundheitsfonds dann tatsächlich zum 1. 1. 2009 startet, erhalten die Krankenkassen weitgehend einheitliche Pauschalen. Kassen, die mehr ausgeben, weil sie teure Versicherte haben, erhalten einen Zuschlag. Neu ist, dass dieser Risikostrukturausgleich auch Krankheitsrisiken mit einbezieht. 80 Krankheitsbilder sind nach Ansicht von Ex-Barmer-Chef Eckart Fiedler das Minimum, damit ein fairer Ausgleich stattfindet. 50 bis 80 Krankheiten sollen tatsächlich beim Finanzausgleich berücksichtigt werden. Krankenkassen, die viele chronisch Kranke versichern, wie die AOKs und die Barmer, haben schon angekündigt, einige ihrer freiwilligen Leistungen streichen zu müssen. DAK-Chef Herbert Rebscher nannte Rehabilitationsangebote oder Beratungen. Im Allgemeinen werden es eher Leistungen sein, die älteren Menschen nützen. Diese Klientel ist für Krankenkassen in der Regel teuer und unwirtschaftlich.

Fein raus sind die Privaten Krankenversicherungen. Sie müssen zwar einen Basistarif anbieten, aber der braucht nicht attraktiv zu sein. Wer in den Basistarif will, muss kein Gesundheitsattest vorlegen, wird aber nach Alter und Geschlecht eingestuft. Dabei gilt: Je älter, je teurer, Frauen zahlen mehr als Männer. Die Prämie darf den gesetzlichen Höchstbetrag nicht übersteigen – immerhin 500 Euro dürfen’s aber sein. Konkurrenz muss die einzelne Versicherung auch in Zukunft kaum fürchten, weil sich der Wechsel für Privatversicherte nicht lohnt. Wer in eine gesetzliche Kasse will, darf die angesparten Altersrückstellungen nicht mitnehmen. Wer in eine andere private Versicherung wechseln möchte, darf nur mitnehmen, was auf Niveau des Basistarifs liegt.

Die niedergelassenen Ärzte bekommen ab 2009 eine neue Gebührenordnung. Die Unterschiede zwischen Ost und West werden wohl nicht nivelliert. Je nach Region sind die Ausgaben begrenzt: Im Süden können Ärzte mehr verschreiben, im Osten sind die Grenzen enger. Apotheker, Pharmaindustrie und die Standesvertretungen der Ärzte, die Kassenärztlichen Vereinigungen brauchen keine Albträume zu fürchten – sie werden von der Politik weitestgehend in Ruhe gelassen.