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: Aus der Grauzone heraus

Noch sind die Beweggründe der Krankenschwester, die in der Charité aktiv in den Sterbeprozess von zwei oder mehr Patienten eingriff, nicht klar. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft müssen – unter Berücksichtigung ihrer Aussagen – den Fall einordnen. Werden sie es Mord nennen? Totschlag? Oder fahrlässige Tötung? Werden sie die psychische Befindlichkeit der Krankenschwester mit einbeziehen? Oder die Arbeitsbedingungen, die für das Pflegepersonal an deutschen Krankenhäusern an die Grenzen physischer und psychischer Belastung gehen?

KOMMENTAR VON WALTRAUD SCHWAB

Sicher wird das Wort „Sterbehilfe“ eine Rolle spielen. Immerhin wird es in informellen Gesprächen auf den Krankenhausfluren genannt. Würde man der Schwester glauben, wenn sie sagt, die Patienten wünschten es? – Antworten auf all diese Fragen gibt es noch nicht.

Eines jedenfalls ist klar: Das Interesse an dem Vorfall in der Charité ist enorm. Kaum wurde die Nachricht bekannt, stand die Fragen nach der Opportunität von aktiver Sterbehilfe im Raum. Inzwischen sind die Reaktionen verhaltener. Man will abwarten, urteilen, wenn man die Motivation der Krankenschwester kennt. Warum hat sie den Tod zweier Todkranker schneller herbeigeführt, als es die Natur eingerichtet hat? Es könnten ja niedere Beweggründe sein.

Wem nutzt diese Vorsicht? Schwänge nicht das tabuisierte Thema Sterbehilfe mit, wäre der Vorfall doch kaum von überregionalem Interesse. Doch dies zeigt, dass eine öffentliche Diskussion dringend nottut. Sie wird sogar gewünscht. Der Gesetzgeber muss den Raum dafür öffnen. Denn Erfahrungen zeigen immer wieder, dass es im Grenzbereich kurz vor dem Tod eines Todkranken zu viele offene Fragen gibt. Solange die Gesellschaft keine Antworten gibt, wird die Verantwortung auf die Schultern des medizinischen Personals abgeladen. Wie lange will man warten? Bis der nächste Fall bekannt wird? Oder, falls dieser nicht taugt, um sich in die Grauzone zu wagen, der übernächste?