SCHLAFLIEDER, ÖFFENTLICHE PROBEN UND WOHNZIMMERKONZERT IN SOCKEN
: Bleib auf dem Teppich, Minimalismus

VON TIM CASPAR BOEHME

AUSGEHEN & RUMSTEHEN

Anfangen, wo es am schönsten ist: Bei Ludovico Einaudi daheim lässt es sich aushalten. Der Pianist und Komponist lud zum Wohnzimmerkonzert in seine Berliner Residenz, um einige Kostproben aus dem eigenen Repertoire zu geben. Bei Kerzenlicht konnte man am Samstag dem Spross einer italienischen Verlegerfamilie lauschen, wie er seine scheinbar beiläufigen Melodieskizzen mit minimalen Veränderungen ausschmückt, stets leicht melancholisch und durchaus harmonisch. Wer sich von der Bitte des Hausherrn, die Privatgemächer ohne Schuhwerk zu betreten, nicht abschrecken ließ, durfte auf zentimeterdicken Teppichen Platz nehmen, um ein im besten Sinne intimes Konzert zu erleben. Neben Klaviermusikinteressierten und Pressevertretern fanden sich auch befreundete Musiker ein, und die anschließende Einladung zu einem Glas Rotwein vom Familiengut hatte angenehmerweise überhaupt nichts Künstliches.

Gegen eine solche Mischung aus öffentlichem Konzert und gutbürgerlicher Hausmusik ist eigentlich kaum etwas einzuwenden, kommt hier doch eine ganz eigene Kommunikation zwischen Künstlern und Publikum zustande. Wie man seinen Zuhörern stattdessen die kalte Schulter zeigt, war am Vorabend in der Volksbühne zu erleben. Dort stellte die Greie Gut Fraktion, das Duoprojekt von Antye Greie und Gudrun Gut, im Rahmen des Italienischen Theaterherbsts ihr neues Album vor. Wer die beiden zum ersten Mal erlebt haben sollte, könnte meinen, zwei Anfängerinnen beim Proben auf der Bühne zugesehen zu haben. Pannen wurden ausführlich kommentiert („So ein Blasekamm funktioniert nicht mehr, wenn man ihn in der Hose hatte“), und auch sonst gab es zu jedem Stück schüchterne Ansprachen, als wäre den beiden ihre eigene Performance peinlich. Da konnte sogar das zuvor angetretene Industrial-Projekt aus Italien punkten, die hatten wenigstens einen Sänger mit bemerkenswertem Stimmumfang und unbestrittenen Kabarettqualitäten. Ihre ergebene Fanschar von geschätzten fünfundzwanzig Zuhörern in genregerechter dunkler Aufmachung war es allemal zufrieden. Stockfinster wurde es bei der Aufführung von „Tentativi di volo“, die ebenfalls im Rahmen des Italienischen Theaterherbsts zu sehen war.

Hier verzichteten die Schauspieler zwar auf jeden Publikumskontakt, dafür zelebrierten sie mit Traumbildern aus der Camera obscura echtes Illusionstheater auf kleinstem Raum. Dunkel ging es auch im Ethnologischen Museum zu, am Sonntag endete dort die Vodou-Ausstellung mit seltsam palettierten Stoffpuppen, Hybrid-Gestalten zwischen Schlange und Mensch, Zombies, einer Göttin in Barbie-Gestalt und unheimlichen Bizango-Kriegern. Allerdings musste man für diese Erfahrung nicht nur lange an der Kasse rumstehen, selbst vor den Ausstellungsräumen stauten sich die Besucher.

Umso entspannter und entspannender hingegen das abendliche Geburtstagskonzert für Terry Riley im Haus der Kulturen der Welt. Der Minimalismus-Pionier, im Juni 75 geworden, spielte nicht nur seine stoischen Ton- und Akkordfolgen zu den Klängen von Saxofon und Tabla, sondern sang auch wiederholt mit tiefer und schöner Stimme seine an indischer Gesangstechnik geschulten Mantras. Vielleicht etwas zu entspannend: So manchen sang er damit in den Schlaf.