Nachhaltig stadtverträglich

WIRKLICHE STÄDTE 250 Städtebaumodelle stellt das Bundesbauministerium derzeit im Heizkraftwerk Mitte aus. Die Kuratoren konfrontierten die Planer- und Investorenmodelle mit den Legolandwünschen der Bürger

Die Projekte lassen sich als Bestandsaufnahme eines tief zerrissenen Landes lesen

VON UWE RADA

Was haben Wünsche mit Wirklichkeit zu tun? Nicht viel, lehrt uns dieser Tage das Beispiel Stuttgart 21 – erst recht nicht wenn es um die Zukunft der Stadt geht. Wenn das Bundesbauministerium von Peter Ramsauer (CSU) nun unter dem Titel „Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit“ 250 Städtebaumodelle im ehemaligen Heizkraftwerk Mitte ausstellt, darf man getrost fragen, ob es sich da um ein großangelegtes Ablenkungsmanöver handelt oder um die subversive Hinterlassenschaft seines Vorgängers. Oder, wie bei Stadtmodellen üblich, doch nur um die Wünsche von Investoren, Architekten oder Planern?

Natürlich wussten auch die Kuratoren Martin Heller und Angelika Fitz um das Dilemma und beteuerten schon vor Beginn der 1,5 Millionen Euro teuren Schau, dass vonseiten des Ministeriums und der Sponsoren keinerlei Druck ausgeübt worden sei. Heller und Fitz lösten das Problem, in dem sie die Planer- und Investorenmodelle mit den Legolandwünschen der Bürger konfrontierten. Indem sie die Akteure im derzeitigen Städtebaugeschehen abbildet, hat Realstadt tatsächlich etwas mit der Wirklichkeit zu tun.

Blade-Runner-Szenerie

Und die Ausstellung scheut auch vor Provokationen nicht zurück. Gleich im Eingangsbereich begrüßt den Besucher ein großformatiges Pappmachémodell von Jakob Michael Birn. Es zeigt den Schlossplatz in einer fast postapokalyptischen Blade-Runner-Szenerie: Der Fernsehturm ist umzingelt von schäbigen Hochhäusern (darunter auch ein vertikaler Nachbau des Palastes der Republik), das rekonstruierte Stadtschloss wird als Einkaufszentrum zwischengenutzt, an der rußgeschwärzten Fassade zur Schlossstraße kleben, Bronx-like, Feuerleitern, drunter warten die Lkws an den Laderampen auf die Abfertigung. „Wünsche sind Kinder der Zeit“, schreibt Birn zu seinem Modell „Der Berliner Lustgarten a. d. 2057“. „Vielleicht wird, was heute noch heftige Debatten auslöst, in einigen Jahrzehnten von anderen Wirklichkeiten verdrängt.“

In die Wirklichkeiten von heute führen schon hinter dem Einlass ein paar Karten ein, darunter auch eine mit der Verteilung der schrumpfenden und der wachsenden Stadtregionen in Deutschland. So lässt sich der Gang durch die Projekte auch als Bestandsaufnahme eines tief zerrissenen Landes lesen. Projekte wie etwa die urbane Verdichtung am Münchner Ostbahnhof, die Messestadt Riem, das Europaviertel in Frankfurt am Main, die Hamburger Hafen-City oder der Masterplan für die Bremer Überseestadt verdeutlichen das Thema der Boomtowns in Deutschland: Wachstum nachhaltig und stadtverträglich gestalten.

Kreativer als im Westen

Der Gesamtübersichtsplan der Innenstadt Magdeburg zeigt, dass in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt ähnliches Verdichtungspotenzial vorhanden wäre. Als schrumpfende Stadt aber muss Magdeburg andere Prioritäten setzen – etwa den jahrzehntelang vernachlässigten Zugang von der Innenstadt zur Elbe neu ordnen. Die Anbindung ans Wasser soll der Stadt wenigstens ein Mindestmaß an Lebensqualität sichern. Städtebau als Überlebenskampf: Das Gleiche gilt für den Zentralpark in Hoyerswerda. Der entsteht just an jenem Ort, an dem sich zuvor 11-geschossige Plattenbauten befanden.

Zur gespaltenen Republik gehört aber auch diese Botschaft von Realstadt: Die Bürger kommen überall dort zum Zuge, wo es weniger um Verteilung geht als vielmehr um Verlust. So ist die Bürgerbeteiligung in Ostdeutschland nicht selten kreativer als im Westen. Umso unverständlicher ist die Halbierung der Stadtumbaumittel von 600 auf 300 Millionen Euro durch den Bundesbauminister. Hätte Peter Ramsauer seine eigene Ausstellung gesehen, hätte er auch mitbekommen, dass mit diesem Geld die Identifikation der Bürger mit den Problemfällen der deutschen Stadtentwicklung möglich gemacht wurde.

Das Modell der Stuttgarter Zukunft – unter die Erde verlegter Hauptbahnhof, neue Quartiere auf ehemaligen Gleisanlagen – hat den Weg in die atemberaubende Halle an der Köpenicker Straße nicht gefunden. Wohl aber ein Plakat, auf dem steht: „Viele wünschen sich Modernität, Größe und Effizienz im Rahmen des technisch Machbaren. Anderen macht gerade dieser Fortschrittsglaube Angst.“ Im Mittelpunkt des Plakats befindet sich ein Foto von einer der zahlreichen Großdemos gegen Stuttgart 21.

■ „Realstadt. Wünsche als Wirklichkeit“. Zu sehen bis 28. November im Kraftwerk Mitte. www.realstadt.de