Der Nächste bitte!

Auf Zypern wird ein neuer Erzbischof gewählt, während der alte noch lebt. Die beiden Favoriten schmieden Intrigen und Bündnisse. Eins davon könnte einen lachenden Dritten an die Macht bringen

VON KLAUS HILLENBRAND

Er darf mit roter Tinte unterschreiben und einen Purpurmantel tragen, so wie einst nur der Herrscher von Byzanz. Doch schon seit Jahren hat der Erzbischof von Zypern, Chrysostomos, nicht mehr zur Feder gegriffen. Der betagte Herr mit dem wallenden weißen Bart leidet an Alzheimer und kann seinen prächtigen Palast in der Altstadt von Nikosia nicht mehr verlassen, geschweige denn eine Messe lesen.

Und deshalb muss auf Zypern zum ersten Mal seit uralten Zeiten ein neuer Kirchenführer her, während der alte noch lebt. Ihn wählen – anders als im Vatikan – nicht allein kirchliche Würdenträger. Das ganze Kirchenvolk darf sich beteiligen – ein ungewöhnlicher Fall direkter Demokratie.

Zu Wahlen gehört ein Wahlkampf, und der hat die 1.518 Jahre alte Institution der autokephalen, also unabhängigen Kirche Zyperns in diesen Tagen schwer beschädigt. Kaum ein Fernsehprogramm, in dem nicht Bischöfe in hitzigen Diskussionsrunden auftraten. Und die beiden Favoriten, Limassols Bischof Athanasios und der Abt des Bergklosters Kykko, Bischof Nikeforos, benahmen sich so gar nicht ihrer religiösen Rolle gemäß. Da warfen Anhänger des einen dem anderen vor, er habe heiliges Kirchenland an schnöde Geschäftsleute verhökert. Athanasios wird beschuldigt, Wahl-Delegierte gekauft haben. Nikeforos wiederum wird vorgeworfen, ausgerechnet der Kommunistischen Partei Geld geschenkt zu haben. Und dann soll er gar noch seine Hände bei der Finanzierung diverser Fußballklubs im Spiel haben, an der Spitze natürlich Omonia, der Klub der Kommunisten. Ein dritter Bischof soll Wein eines Kirchenguts an die Verwandtschaft abgezweigt haben.

Nun sind all diese schmutzigen Anschuldigungen selbstverständlich üble Nachrede. Möglicherweise stimmt aber auch einiges davon.Denn der Beruf des Erzbischofs bringt es nicht nur mit sich, mit roter Tinte unterschreiben zu dürfen, der Führer der griechisch-orthodoxen Kirche Zyperns ist auch weltlichen Dingen durchaus zugewandt. Und da geht es um Geld, sehr viel Geld. Denn die Kirche ist größter Landbesitzer der gar nicht armen Insel und deren reichste Institution, Kykko das reichste Bistum. Die Kirche besitzt eine Großbrauerei und ist unter anderem an Hotels beteiligt. Als Wirtschaftsfaktor hat sie auch politisch ein wichtiges Wort mitzureden.

Zwar sind die seligen Zeiten von Erzbischof Makarios III., der zugleich als Präsident der Republik fungierte und damit der letzte Ethnarch des Erdballs war, seit fast 30 Jahren vorbei. Doch auch sein Nachfolger, der nun erkrankte Chrysostomos („Goldmäulchen“), herrschte nicht nur über seine Popenschar. Donnernd lehnte er Kompromisse in der Zypernfrage ab. Das eindeutige Verdikt der griechisch-orthodoxen Kirche trug vor zwei Jahren mit dazu bei, dass das Volk einen gottlosen UN-Plan zur Wiedervereinigung der Insel als vorgeblich zu türkenfreundlich dem Papierkorb überantwortete. Kandidat Nikeforos machte mit seiner Haltung erwartungsgemäß auch Wahlkampf. Der Erzbischof müsse dafür Sorge tragen, dass „das zypriotische Hellenentum wieder aufsteigen kann aus dem Schatten des Todes in das helle Licht der Freiheit, bis die Glocken in den Kirchen der besetzten Gebiete wieder läuten können“.

Die Wechselbeziehungen zwischen Kirche und Politik haben es nun mit sich gebracht, dass sich auch die Parteien kräftig in den erzbischöflichen Wahlkampf eingemischt haben. So entdeckte der atheistische Chef der Kommunisten, Dimitris Christofias, sein Herz für die Orthodoxie und empfahl seinen Genossen die Wahl von Nikeforos. Auch Anhänger anderer Parteien, ein Ex-Präsident, frühere Minister und Bürgermeister schlugen sich auf die Seite des einflussreichen Bischofs von Kykko. Nikeforos, heißt es in einem flammenden Aufruf seiner Unterstützer, „kämpft international für Gerechtigkeit für Zypern und unterstützt kompromisslos eine wirklich gerechte und nachhaltige Lösung des Zypernproblems“.

Der Widerspruch zwischen atheistischen Kommunisten einerseits und der Wahl eines Erzbischof andererseits ist freilich nur ein scheinbarer. Denn die örtliche „Fortschrittspartei des arbeitenden Volkes“ (AKEL) hat zwar in ihrer Geschichte stets allen Führern der glorreichen Sowjetunion von Stalin bis Breschnew die unverbrüchliche Treue gehalten. Doch das hält weder deren Mitglieder noch ihre Anhänger davon ab, treue griechisch-orthodoxe Christen zu sein. Schließlich ist AKEL eine Volkspartei, der regelmäßig rund 30 Prozent der Wähler ihre Stimme schenken.

Tatsächlich gilt Nikeforos als deutlich weniger reaktionär als sein Gegner Athanasios, der deswegen auch „der Taliban“ genannt wird. Während zum Beispiel Athanasios außerehelichen Geschlechtsverkehr grundsätzlich ablehnt („Prostitution“), will Nikeforos nicht gar so strenge Maßstäbe anlegen, sollte die Beziehung später in eine christliche Ehe münden. Gegenüber den türkischen Zyprioten schlug Nikeforos versöhnliche Töne an und knüpfte gar Kontakte über die Barrikaden und Stacheldraht der als „grün“ titulierten Demarkationslinie hinweg zum Islam in Gestalt des Mufti von Nord-Nikosia.

Vor zehn Tagen nun fanden die historischen Wahlen statt. Es waren die ersten seit 29 Jahren – und sie endeten in einem Desaster. Nicht nur ähnelte die Beteiligung der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern; auch fehlten Dutzenden Urnen bei ihrer Ankunft am Zählpunkt die Versiegelung. Andere enthielten Wahlscheine der falschen Wahlbezirke. Auszählungen ergaben mal das eine Ergebnis, nach Protesten aber ein völlig anderes. Die Zahl der Einsprüche summierte sich auf 69, die Bekanntgabe des endgültigen Resultats verzögerte sich um Stunden. Doch das Schlimmste war das Ergebnis: Keiner der Kandidaten trug einen eindeutigen Sieg davon.

Von den zu bestimmenden 1.400 Delegierten erhielt Limassols Bischof Athanasios 641 Stimmen, der Bischof Nikiforos von Kykko 615. Der Rest verteilte sich auf die Bischöfe von Paphos und Kition. Ein Desaster für das politische Establishment im Allgemeinen und die Kommunisten im Besonderen. Wird „der Taliban“ jetzt Erzbischof?

Die nächste Aufgabe der 1.400 Delegierten wird es sein, 100 Wahlmänner zu bestimmen. Das geschieht selbstverständlich anhand ihrer der Öffentlichkeit längst bekannten persönlichen Prioritäten. Und das heißt: Nicht Athanasios, sondern der Bischof von Paphos, Chrysostomos, hat die besten Karten. Zehn Wahlmänner dürften in seinem Sinne handeln, je 45 stehen für Nikiforos und Athanasios. Dem Volkswahlkampf folgt der Kirchenwahlkampf. Und Vorsicht! Die Wahl ist geheim.

Den 100 Wahlmännern werden im eigentlichen Wahlverfahren weitere 33 Kleriker zur Seite gestellt werden. Um die Sache spannender zu machen, dürfen diese getrennt als eigene Kammer den Erzbischof erwählen. Es existieren also gewissermaßen ein Ober- und ein Unterhaus. Gewählt ist, wer in beiden Kammern eine absolute Mehrheit der Stimmen erhält – und sei es in einer Stichwahl. Im unwahrscheinlichen Fall, dass danach immer noch kein Konsens erreicht ist, werden die beiden Kammern vereint und die Wahlmänner und Kleriker schreiten erneut zur Wahl.

Doch gewählt wird erst im November. Bis dahin ist – ganz wie in der säkularen Politik – Zeit zum Schmieden von Bündnissen. Zwar verkündete der betont patriotisch auftretende Chrysostomos, jetzt sei nicht die Zeit über Allianzen zu sprechen. Eine Aussage, die schätzungsweise zehn Minuten hielt. Schließlich geht es darum, „das Beste für die Kirche zu tun“, so der Paphiote. Das Beste in seinem Sinne könnte indes bedeuten, dass Chrysostomos selbst zum neuen Erzbischof gewählt wird.

Und das geht so: Athanasios und Chrysostomos verbünden sich gegen Nikeforos. Schließlich war es Chrysostomos, der im Wahlkampf mit vehementer Kritik gegen Nikeforos’ angebliche Kommunisten-Nähe aufgefallen war. Gemeinsam gebieten Athanasios und Chrysostomos bei 55 Wahlmännern über die erforderliche absolute Mehrheit. Weil aber der Taliban Athanasios als wenig vorzeigbar gilt, Chrysostomos dafür über ausreichend Machtgier nebst gesundem Pragmatismus verfügt, läuft alles darauf hinaus, dass Letzterer mit diskreter Unterstützung der Politik zum neuen Kirchenführer werden wird – auch wenn der begnadete Volkstribun Athanasios einen Rückzug derzeit noch vehement zurückweist.

So wären alle glücklich und zufrieden – außer wahrscheinlich Nikeforos. Auf Chrysostomos folgt ein neuer Chrysostomos. Der wird zuverlässig das Besatzerregime der Ungläubigen im Norden Zyperns anprangern und den Kirchenbann über Verräter und Kompromissler legen.

Und da macht es auch fast gar nichts aus, dass Chrysostomos nur von fünf Prozent des Kirchenvolks gewählt worden ist.