Wahltaktik und neue Einsichten
: Großbritannien: Tories in die Mitte

VON RALF SOTSCHECK

Nach „New Labour“ nun „New Tories“: David Cameron, der Chef der britischen Konservativen, will seine Partei ebenso umkrempeln, wie Premierminister Tony Blair es mit der Labour Party getan hat. In seiner Rede zum Abschluss des Parteitags im südenglischen Seebad Bournemouth präsentierte Cameron seine Partei am Mittwoch als Retter des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS. „Blair hat seine Prioritäten in drei Worten zusammengefasst: Bildung, Bildung, Bildung“, sagte Cameron. „Ich kann das in drei Buchstaben tun: NHS.“

Cameron, der nächste Woche 40 Jahre alt wird, versprach, dem Gesundheitsdienst keinen einzigen Penny wegzunehmen. Die Tories behaupten, dass die Haushaltskürzungen der Regierung zum Verlust von 20.000 Jobs im Gesundheitsdienst sowie zahlloser Krankenhausbetten führen werden, weil ein Defizit von rund zwei Milliarden Euro entstanden sei. „Ich glaube, die Schaffung des nationalen Gesundheitsdienstes war eine der größten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts“, sagte Cameron. „Das war immer meine Meinung.“

Es war bisher aber nicht die Meinung der Partei. Die Tories galten als ausgemachte Feinde des NHS, was die anderen Parteien in jedem Wahlkampf auszunutzen versuchten. Jetzt aber wehe ein „neuer Geist der sozialen Verantwortung“ durch die Tory Party, wie Cameron bei der Eröffnung des Parteitags am Sonntag erklärte.

Die Konservativen müssen in die politische Mitte zurückkehren, wenn sie nicht länger in der Opposition bleiben wollen, sagte Cameron. Seine Mahnung war nicht nur an die Wähler, sondern auch an den rechten Parteiflügel gerichtet, der ihn gerne auf Steuersenkungen festlegen möchte. Cameron erteilte dieser Forderung eine Absage, und die anderen Reizworte der Tories – Europa und Einwanderung – blieben auf dem Parteitag diesmal außen vor. Dennoch sind die Wähler noch nicht überzeugt. Trotz der zerstrittenen Labour Party liegen die Konservativen bei Meinungsumfragen mit 36 Prozent lediglich gleichauf. Viele Wähler trauen dem neuen Image nicht, zumal Cameron sie über seine konkrete Politik weiterhin im Unklaren lässt. Wie schon bei der Eröffnungsrede betonte er auch am Mittwoch: „Politische Substanz ist kein Zehn-Punkte-Plan, es geht viel tiefer als das. Es geht darum, sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen und nicht die einfachen Antworten auszuplappern, die die Leute hören wollen.“