Ruhe zwischen den Stürmen


Die Union verliert in den Umfragen. Aus dem Kanzlerwahlverein ist ein Chaosclub geworden

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Die Kanzlerin und CDU-Chefin ist nach Diktat verreist und macht Außenpolitik in der Türkei. Verabschiedet hat sich Angela Merkel mit einem Satz, der das Ende des monatelangen Streits um die Gesundheitsreform markieren sollte. „Was heute vereinbart worden ist, ist vereinbart.“ Punkt und keine Diskussion mehr. Ein Machtwort? Schon am nächsten Tag zeigt sich: Ein Wunsch.

Während die Kanzlerin in Istanbul die örtlichen Gepflogenheiten während des Fastenmonats Ramadan kennen lernt, werten ihre Getreuen daheim die Reaktionen auf die Gesundheitsbeschlüsse vom Donnerstagmorgen aus. Das ist kein Spaß.

Merkels Statthalter in Berlin hält einen traurigen Monolog, als er nach seiner Einschätzung der Stimmung gefragt wird. „Wir nehmen die veröffentlichte Meinung jeden Tag interessiert und aufmerksam zur Kenntnis“, sagt der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg und fügt hinzu, bei der morgendlichen Zeitungslektüre habe er sich „eine gewisse Leidenschaftslosigkeit“ angewöhnt. Die braucht er auch. Die Kommentare sind vernichtend. Arbeitgeber, Gewerkschaften, Gesundheitsexperten, Opposition: So gut wie alle schimpfen. Steg ist da schon froh, dass bisher noch kein wichtiger Ministerpräsident der Union seine Ablehnung angekündigt hat. Zu den Äußerungen aus Bayern und von der nordrhein-westfälischen CDU, die sich vorbehalten, über ihre Zustimmung erst später zu entscheiden, sagt Steg lapidar, das sei „keine Überraschung“. Die Resonanz aus den Ländern sei gut. Die Regierenden sind bescheiden geworden. Wenn ein CDU-Provinzfürst wie Peter Müller aus dem Saarland sagt, das Ergebnis mache „niemanden glücklich“, sei aber „erträglich“, ist das für sie schon ein Erfolg. Es könnte ja immer noch schlimmer kommen. Kommt es auch.

Die ARD meldet in ihrem neuesten „Deutschlandtrend“ 30 Prozent für die Union. Der niedrigste Wert, der je für die Partei gemessen wurde. Und die SPD legt zu. In der Beliebtheitsliste hat Beck erstmals Merkel überholt. Die Demoskopen nennen auch den wichtigsten Grund für die CDU-Verluste: Die Union wirke zerstrittener als alle anderen Parteien. Aus dem früheren Kanzlerwahlverein ist ein Chaosclub geworden. Merkel bräuchte nichts dringender als Ruhe im eigenen Laden.

Ruhe? Wenn die Kanzlerin aus der Türkei zurückkommt, kann sie stapelweise Einwendungen gegen ihre Gesetzespläne lesen. Für den einflussreichen CDU-Wirtschaftsrat etwa ist bei der Gesundheitsreform „noch lange nicht das letzte Wort gesprochen“. Die am Donnerstag beschlossene Verschiebung des Gesundheitsfonds auf 2009 biete die Chance für „massive materielle Nachbesserungen“. Dabei sollte gerade die Verschiebung der ungeliebten Reform die Partei beruhigen. Aus kaum verhohlenen machttaktischen Gründen hat sie den drei gefährlichsten, weil ehrgeizigsten Ministerpräsidenten, dem Bayern Edmund Stoiber, dem Hessen Roland Koch und dem Niedersachsen Christian Wulff, Mehrbelastungen für ihre Bürger vor den Landtagswahlen 2008 erspart. Koch hat sich mit einem Lob bedankt. Die Reform sei ein Schritt in die richtige Richtung, ließ er wissen. Im Vergleich zu den mäkeligen Grummeltönen der Kollegen klingt das geradezu euphorisch. Merkels Freude dürfte sich trotzdem in Grenzen halten. In ihrem Umfeld wird Kochs demonstrative Loyalität als besonders trickreiche Taktik empfunden, um für den Fall der Fälle, Merkels Fall, als Nachfolger bereitzustehen. Wer die Chefin offen kritisiert, macht sich an der hierarchiebewussten Unionsbasis keine Freunde. Ein schlauer Königsmörder, unken manche, schweigt bis zu seiner Tat, er schleicht sich an.

Koch wird es kaum sein, der den nächsten Streit beginnt, das dürften andere erledigen. Themen gibt es demnächst genug: Hartz IV, Unternehmensteuer, Kombilöhne. Auch in Merkels Umgebung ist man sich darüber klar, dass da wieder viele „eine deutlichere Unionshandschrift“ fordern werden.

Das gegenseitige Misstrauen in der Unionsführung ist enorm. Was Merkels Position stärke, sagte ein CDU-Regierungsmitglied kürzlich, sei „ein Gleichgewicht des Schreckens“. Ein Gleichgewicht zwischen Union und SPD? Nein, „ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen Koch und Wulff“.

Der Parteitag im November könnte spannend werden. „So kritisch war die Stimmung an der Basis selten“, sagt selbst der Merkel-treue Fraktionsvize Wolfgang Bosbach der taz und findet dann doch noch einen Hoffnungsschimmer: die Kritik aus der SPD an der Gesundheitsreform. „Wenn die SPD-Linke sagt, die SPD hat sich von der Union über den Tisch ziehen lassen, höre ich das mit Freude. Das erhöht die Akzeptanz in der Union.“