Vater Unser, Nationalhymne, gute Nacht

Schill ist out. Aber wegen der notorischen Misswirtschaft der großen Koalition in Bremen verspricht die Landtagswahl im kommenden Jahr viele Proteststimmen. Joachim Siegerist will sie mit einem rechten Wahlbündnis abgreifen

„Hier bestimmen wir, wer redet“, sagt Siegeristund lässt dem Saal-Mikroden Saft abdrehen

AUS BREMEN BENNO SCHIRRMEISTER

Die meisten der rund 250 Menschen im Saal des Bremer Hilton Hotels haben sich diese dusseligen Lebkuchenherzen umgehängt: die Anzugträger und spärlich dahingetupften Damen im Parkett ebenso wie die Herren auf dem Podium. Der Jahreskongress der norddeutschen Schaustellergilde? Knapp daneben: Dies ist ein Mobilisierungstreffen der Rechten für die Bürgerschaftswahlen im kommenden Mai.

„Bremen muß leben“ steht klebrig auf den Lebkuchenherzen, in alter Orthografie versteht sich. Schließlich war auch die Rechtschreibreform eine mit Zeitzünder losgegangene Attacke der 68er auf unsere schöne deutsche Sprache, wie im Laufe des Abends zu erfahren ist.

Aber Vorsicht! Jetzt bloß nicht verzetteln. Schließlich wird hier gerade die ganze Misere des Stadtstaates Bremen offen gelegt und anschließend auf einfache Weise gelöst. Das kommt gut an im Saal, auch wenn manche im Laufe des Abends ihr Herz auf die mit Deutschland-Fähnchen und Bremer Speckflagge verzierten Tische legen müssen: Die Frischluft ist knapp, die Referenten-Beiträge sind wortreich und die Möglichkeiten zur Interaktion spärlich: Es darf geklatscht werden, andere Publikumsbeiträge lässt der Veranstalter Joachim Siegerist erst zu, nachdem auch der letzte der acht Herren vom Podium die Welt erklärt hat.

Eine Viertelstunde Diskussion hat er angesetzt, und bei unabgestimmten Wortmeldungen kennt er keine Gnade: „Hier bestimmen wir, wer redet“, sagt Siegerist und lässt dem Saal-Mikro den Saft abdrehen, wenn ein Bewunderer zu weitschweifig wird. Dann noch das Vaterunser und die Nationalhymne, beides im Stehen, wie es sich gehört. Gute Nacht.

Der ehemalige BILD-Schreiber Siegerist hat sich politisch mehrfach hervorgetan: einst als Wahlkampfmanager von Ernst Albrecht, 1995 als Beinahe-Ministerpräsident Lettlands. Siegerist stritt für die Freiheit von Rudolf Heß. 1987 trug ihm sein publizistisches Schaffen eine Verurteilung wegen Beleidigung des damaligen SPD-Ehrenvorsitzenden Willy Brandt ein, 1994 eine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung in Tateinheit mit Aufstachelung zum Rassenhass und Beleidigung. Damals hatte er „Zigeuner“ als „durchweg übles und kriminelles Pack“ beschimpft.

Heute ist Siegerist der Führer des Vereins „Die Deutschen Konservativen“, der mit einem Wahlbündnis die Hansestadt an der Weser unter anderem vor dem, wie er sagt, „braunen Lumpenpack“ retten will. Kann jemand mit derart lauteren Absichten ein Rechtsextremist sein? Dass man ihn mit der NPD – mit der er nachweislich nur die Rechtsanwältin gemein hat – in einen Topf werfen werde, prophezeit Siegerist, und wenn er’s 100.000-mal sage, dass er mit denen nichts zu tun habe. Der arme Kerl. Manche Vorurteile halten sich eben einfach hartnäckig.

Drinnen gibt eine adrette lettische Sopranistin Andrew Lloyd Webbers Song „Memory“ aus Cats zum Besten. „Hoffnung, in mir lebt nur die Hoffnung, dass ich nicht einfach sterbe, wie eine Kerze im Wind“, singt sie auf deutsch – ein Lied, das die evangelische Kirche für Trauerfeiern empfiehlt.

Draußen bei der Raucherpause, erregen sich Siegerist-Fans darüber, dass Presse, Funk und Fernsehen die Vergangenheit ihres Spitzenmanns einfach nicht ruhen lassen wollen, „nur, weil er Zigeuner einmal Zigeuner genannt hat“.

Drinnen ist die Stimmung am besten, als Ronald Gläser redet: Der 32-Jährige mit den Schmissen im Gesicht ist mit deutlichem Abstand der jüngste auf dem Podium, auf dem noch der seit Jahren nach rechts driftende einstige Rudi Dutschke-Weggefährte Bernd Rabehl erwähnt werden muss. Gläser ist für markige Worte über Ausländer zuständig. „Ich möchte“, sagt er, als er ans Mikrophon tritt, „mit Ihnen über die multikulturelle Gesellschaft reden“, und ein Raunen geht durch die Reihen. Sprachtest und sofortige Abschiebung heißt, zusammengefasst, was Gläser vorschlägt. Auch für die wirklich prekäre Bremer Finanz-Frage gibt es einfachere Lösungen als gedacht: Ersonnen hat sie Bernd-Thomas Ramb, wie Gläser nach Selbstauskunft „ständiger Mitarbeiter der Wochenzeitung Junge Freiheit“ und außerplanmäßiger Prof an der Gesamthochschule Siegen.

Ramb will „keine Siegerjustiz“ und auch „keine Schauprozesse“. Uff. Aber er „möchte untersucht haben“, ob man die Verursacher der Schulden „nicht auch zur persönlichen Rechenschaft ziehen kann“.

Der „finanzpolitische Befreiungsschlag“ wird durch eine Doppelstrategie erreicht: Einerseits sollen die „Schulden für obsolet erklärt“, andererseits die Ausgaben „drastisch gesenkt“ werden. Er schlägt vor, Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen und Sozialabgaben zu streichen. „Dass es dann zu Unruhen und Ausschreitungen kommt“, so Ramb, „und zu einer steigenden Kriminalität, kann ich mir schon vorstellen.“ Deswegen gehöre der Sicherheits-Etat aufgestockt. Logisch.

Alles in allem fehlt die Würze. Die Lebkuchen sind ein wenig fad und reichlich süß geraten. Das kann zu Sodbrennen führen. Es fließt auffällig wenig Bier, auch kaum Wein und erst recht kein Schnaps: Mineralwasser trinken die Konservativen, und die einzige Beimischung ist Kohlensäure.

Nicht dass sich nachher jemand auf Schuldunfähigkeit herausreden könnte. Dennoch gibt sich Siegerist nach einer Testabstimmung berauscht. Etwa neun Zehntel der Anwesenden heben die Hand für eine Kandidatur bei den Landtagswahlen im Mai nächsten Jahres, ergriffen schaut er auf die hochgereckten Finger und das Herz baumelt überm Schlips.

Für Mai, sagt Siegerist und denkt offensichtlich an die verflossenen Erfolge seines Hamburger Abenteurer-Kollegen Ronald Barnabas Schill, setze er „auf die Marke 20 bis 25 Prozent“.