Berlin geht Tätern an die Eier

Die Therapie von Sexualstraftätern wurde lange Zeit vernachlässigt. Inzwischen existieren vier Einrichtungen, die intensiv zusammenarbeiten. Damit ist Berlin wegweisend auf diesem Sektor

Von Plutonia Plarre

Berlin ist auf dem besten Weg, sich zum Vorreiter bei der Therapie von Sexualstraftätern zu entwickeln. Die vor einem Jahr in Tegel gegen heftige Widerstände der Bevölkerung in Betrieb gegangene Nachsorgeambulanz für entlassene Sexual- und Gewalttäter arbeitet mit großem Erfolg. Das vom Charité-Institut für Sexualmedizin initiierte Projekt zur Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch macht sogar weit über Deutschland hinaus positive Schlagzeilen.

Es ist stets das gleiche Ritual: Wenn Kinder und Jugendliche Opfer von Sexualstraftätern werden, ist das Entsetzen groß. Wie auf Knopfdruck wird der Ruf nach strengeren Strafen laut. Es scheint nur ein „Danach“ zu geben, aber kaum ein „Davor“ zum Zweck der Strafvereitelung, klagen Fachleute. „Selbst niedergelassene Therapeuten waren bis vor wenigen Jahren der Meinung, da können wir nichts machen“, sagt Psychotherapeut Jürgen Lemke.

Doch das ist, was Berlin angeht, Vergangenheit. Vom Tor der Justizvollzugsanstalt Tegel sind es nur wenige Schritte bis zu den roten Backsteinhäusern. Früher wohnten dort Justizbeamte. Heute werden in einem der Gebäude entlassene Sexual- und Gewaltstraftäter therapiert – in aller Stille, ohne dass sich die Nachbarschaft dafür interessiert. Im Vorjahr war das noch anders. Scheinbar die gesamte Eltern-, Lehrer- und Erzieherschaft von Tegel wehrte sich mit Demos und Unterschriftenlisten gegen die Einrichtung der Nachsorgeambulanz. „Wie können wir unsere Kinder in dieser Gegend noch frei herumlaufen lassen?“, wurde Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) bei einer Bürgerveranstaltung gefragt.

Inzwischen werden in dem Backsteinhaus 40 aus dem Knast oder der geschlossenen Therapie, kurz Maßregelvollzug, entlassene oder kurz vor der Entlassung stehende Sexual- und Gewalttäter behandelt. Für eine Evaluation sei es nach einem Jahr noch zu früh, sagt Leiterin Helena Douka von Bormann. „Aber wir hatten noch keinen Rückfall.“ Die mit der forensischen Psychiatrie verknüpfte Ambulanz ist ein Modellprojekt und in dieser Form bundesweit einzigartig. Ein Betreuerteam von Psychiatern, Therapeuten und Sozialarbeiterin steht rund um die Uhr für die Klienten bereit. Das Korsett von Therapie und gegebenenfalls medikamentöser Behandlung sei eng geschnürt, auch Hausbesuche seien Bestandteil, sagt von Bormann. Ein Klient, bei dem sich ein Rückfall abzeichnete, sei auf Anraten der Therapeuten freiwillig in die geschlossene Anstalt zurückgekehrt.

Der Bedarf, weiß von Bormann, ist viel größer. Aber sie ist froh über den Anfang und setzt auf kleine Schritte. „Alles, was auf dem Sektor hilft, ist gut.“ Das gelte auch für das Charité-Projekt. An das Institut für Sexualmedizin haben sich inzwischen mehr als 400 möglicherweise pädophile Männer mit der Bitte um Hilfe gewandt. Vom kommenden Jahr an sollen dort 100 Therapieplätze zur Verfügung stehen.

Dazu kommen „Kind im Zentrum“ (KiZ), eine Therapieorganisation des Evangelischen Jugendförderwerks, sowie die Sozialtherapeutische Anstalt (SothA) im geschlossenen Vollzug in Tegel. KiZ und SothA haben sich bei der Therapie von Sexualstraftätern schon lange einen guten Ruf erworben. Der Verbund der vier Einrichtungen, sagt Jürgen Lemke, könne sich sehen lassen. „Damit ist der Grundbedarf gedeckt.“ (siehe Interview)