Japan und China setzen auf Entspannung

Premierminister Abe unternimmt seine erste Antrittsreise ausgerechnet nach Peking und setzt dort auf Versöhnung. Staatschef Hu sieht einen Wendepunkt der Beziehungen. In einer gemeinsamen Erklärung äußern beide ihre Besorgnis über Nordkorea

AUS PEKING GEORG BLUME

Japans neuer Premierminister Shinzo Abe ist kaum zwei Wochen im Amt – und schon war er gestern in Peking, wo sich seit fünf Jahren kein Tokioter Regierungschef mehr blicken ließ. Galt die japanische Außenpolitik gegenüber China bisher als kühl und abweisend – Abe setzte unerwartet schnell neue Akzente. Er messe den japanisch-chinesischen Beziehungen „extreme Bedeutung“ zu, sagte der Premier gestern in Peking. Deshalb habe er seine erste Auslandsreise als Regierungschef nach China unternommen, erklärten japanische Diplomaten. Deshalb wolle Abe China eine „strategische Beziehung im gegenseitigen Interesse“ vorschlagen.

Der chinesische Staats- und Parteichef Hu Jintao musste sich vorkommen wie ein alter chinesischer Kaiser, dem eine japanische Delegation Tribute überbringt. Hu konstatierte Abe gegenüber einem „Wendepunkt der bilateralen Beziehungen, der zugleich als Neuanfang dienen könne“. Hu hatte dafür gesorgt, dass die chinesischen Medien in den Tagen zuvor jede Menge Vorschusslorbeeren für Abe verteilten. Sie lobten ganz besonders Abes Bekenntnis zur japanischen Kriegsschuld. Abe hatte sich erst am Freitag vor seine Abreise eine Regierungserklärung von 1995 zu Eigen gemacht, die Japans „Kolonialherrschaft und Aggression“ im und vor dem Zweiten Weltkrieg eindeutig verurteilt. Abe hatte vor seiner Abreise jedoch auch gesagt, dass er die vom Internationalen Gerichtshof in Tokio 1948 verurteilten japanischen Kriegsverbrecher nicht als solche betrachten würde. Genau das aber verschwiegen die chinesischen Medien. In den vergangenen Jahren war jeder kleinste revisionistische Fehltritt eines japanischen Politikers in Peking propagandawirksam aufgezeichnet worden. Soll nun plötzlich Entspannung herrschen im asiatischen Historikerstreit?

Abe schlug gestern in Peking gemeinsame Geschichtsforschungen vor. Mehr noch: Er brachte seine Frau Akie mit, die als viel Asien-freundlicher als ihr Mann gilt und gleich eine Pekinger Mittelschule besuchte.

In Tokio hieß es, Abe habe den Besuch monatelang akribisch vorbereitet, was verwundert: Abe hatte bisher den Ruf, einer der ersten China-Hasser seiner Liberaldemokratischen Partei zu sein. Nun stand er gestern fast schon als Versöhner da.

Geschickt hat Abe den Anstoß des alten Streits mit Peking umgangen. Der Premier werde an seiner „undurchschaubaren Haltung“ zum Yasukuni-Schrein festhalten, berichtete der japanische Sender NHK. Demnach behält sich Abe vor, ob er die von China scharf kritisierten alljährlichen Yasukuni-Schrein-Besuche seines Vorgängers Junichiro Koizumi fortsetzen wird. Erst mal hat er ein Jahr Zeit, Chinas guten Willen zu testen. Der aber reichte gestern immerhin schon für eine gemeinsame Erklärung zum drängenden Thema Nordkorea. „Zutiefst besorgt“ sei man über die Entwicklung dort, „die Frage der Atombombenversuche eingeschlossen“, hieß es in der Erklärung.

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