Auch in Europa sitzen Kinder hinter Gittern

Hilfsorganisationen wenden sich gegen die Internierung von minderjährigen MigrantInnen ohne Papiere

PARIS taz ■ Tausende von Kindern sitzen in EU-Ländern hinter Gittern. Aus dem einzigen Grund, dass sie ausländisch und ohne Papiere sind. Trotz ihres niedrigen Alters, das von wenigen Wochen bis zur Volljährigkeit reicht, harren sie in Internierungslagern manchmal wochen-, manchmal monatelang einer Abschiebung. Manche Kinder sind von Verwandten begleitet. Andere ganz allein.

Überall ist ihre Zahl steigend. In Großbritannien – Spitzenreiter in dieser Disziplin – kommen so alljährlich 2.000 Kinder hinter Gitter. In Belgien hunderte. In Frankreich waren es im Jahr 2005 mehr als 250. Und in Deutschland, wo die Abschiebezentren Ländersache sind, gibt es zwar keine zentrale Erfassung dieser kleinen Gefangenen, aber bei einem Besuch in dem nordrheinwestfälischen Abschiebezentrum in Büren traf eine Kommission der protestantischen französischen Hilfsorganisation Cimade Anfang des Jahres auf mindestens zwei Minderjährige hinter Gittern. Beide stammten aus Asien. Beide waren allein.

Jetzt schlägt Cimade zusammen mit der Hilfsorganisation Anafé, die Abschiebehäftlinge an Flughäfen betreut, Alarm. Gestern stellten die PräsidentInnen der beiden Organisationen bei einer Pressekonferenz in Paris eine europäische Petition (nominorsindetention.org) vor, in der sie gegen die Inhaftierung von Minderjährigen protestieren. „Unser Ziel ist es“, erklärte Cimade-Präsident Patrick Peugeot, „die Internierung von Kindern zu verbieten. Im Zweifelsfall müssen andere und kindgerechte Lösungen gesucht werden.“ Hélène Gascon, Präsidentin der Anafé, erinnerte an die Kinderschutzkonvention, die in Artikel 37 B empfiehlt, Internierungen von Kindern zu vermeiden.

Aktueller Anlass für die Kampagne der beiden Hilfsorganisationen ist die Richtlinie „Rückkehr“, die gegenwärtig von der EU vorbereitet wird. Die Richtlinie sieht vor, dass künftig die Internierung und Abschiebung von papierlosen Ausländern, die gegenwärtig in jedem Land unterschiedlich praktiziert wird, künftig EU-weit vereinheitlicht – „harmonisiert“ – wird. Mehrere Länder, darunter Deutschland, wollen das „übergeordnete Interesse des Kindes“ sowie andere Kinderschutzbestimmungen aus der Richtlinie streichen. Cimade und Anafé appellieren an die EU-Abgeordneten, die die Richtlinie erstmals am 22. und 23. November in einer Kommissions- und im kommenden März in einer Plenarsitzung beraten werden, Minderjährige grundsätzlich von Internierung und Abschiebung auszunehmen. „Andernfalls“, so wissen unabhängige Rechtsberater, die in den 23 französischen Abschiebezentren tätig sind und seit Monaten immer mehr Kinder beobachten, die in rundum vergitterten Höfen eingesperrt und gelegentlich sogar an Betten gekettet sind, „wird die Inhaftierung von Kindern EU-weit banalisiert und sogar zur Pflicht werden“. DOROTHEA HAHN