Formelkompromiss im Gesundheitsstreit

Die Koalition einigt sich auf eine komplizierte Auslegung der 8-Euro-Regelung. Kritik von Krankenkassen

BERLIN taz ■ Im Fach Gesundheitsmathematik hat sich die große Koalition auf eine einheitliche Formel geeinigt. Die Frage, wie hoch ein eventueller Zusatzbeitrag sein darf, den Krankenkassen von ihren Versicherten fordern können, entschied Bundeskanzlerin Angela Merkel so: „Bis zu acht Euro wird keine Einkommensprüfung durchgeführt. Für jeden Betrag darüber wird die Einkommensprüfung durchgeführt, und es gilt die Ein-Prozent-Klausel.“ Regierungssprecher Ulrich Wilhelm bestätigte die Auslegung gestern.

Klar ist demnach vor allem eins: Von einem 8-Euro-Sockelbetrag, der nicht unterschritten werden kann, ist nicht mehr die Rede. Diese Interpretation hatte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer vertreten.

Zusatzbeiträge dürfen die gesetzlichen Krankenkassen ab 2009 erheben, wenn sie mit den zugewiesenen Mitteln nicht auskommen. Nachdem die Koalitionspartner in der vergangenen Woche in einer Nachtsitzung über deren Höhe debattiert hatten, war Streit um die richtige Interpretation der Einigung entbrannt. Die SPD konnte sich nun mit ihrem Kompromissvorschlag durchsetzen, der zwar den politischen Streit beendet, die Klausel aber nicht vereinfacht: Bis zu 8 Euro Zusatzbeitrag kann eine Kasse von ihren Versicherten unbesehen fordern, will sie aber 9 Euro kassieren, darf sie mit diesem Betrag nicht die Obergrenze von 1 Prozent des Einkommens überschreiten. Ein Hartz-IV-Empfänger mit 400 Euro Einkommen müsste statt 9 nur noch 4 Euro zahlen.

Der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Klaus Vater, sieht der komplizierten Regel gelassen entgegen. Die Versicherten hätten ja die Möglichkeit, ihre Kasse zu wechseln, sobald Zusatzbeträge fällig würden. Theoretisch, so die Überlegungen des Ministeriums, muss gar keine Kasse Zusatzbeiträge nehmen, da Kassen, die überdurchschnittlich viele chronisch Kranke versichern, Zuschläge aus dem Gesundheitsfonds erhalten.

Die Krankenkassen widersprechen. „Die Zusatzbeiträge sind von zentraler Bedeutung“, sagte DAK-Chef Herbert Rebscher. Ab 2009 soll nämlich für alle Kassen ein einheitlicher Beitragssatz gelten. „Dann findet Wettbewerb zwischen den Kassen nur noch über diese Zusatzbeträge statt.“

Dorothee Schawo, Leiterin der Abteilung Risikostrukturausgleich beim AOK-Bundesverstand, gibt zu bedenken, dass rund 17 Prozent der AOK-Mitglieder über ein Einkommen bis zu 800 Euro im Monat verfügen. Bei einer Zusatzprämie von 8 Euro müssten diese mehr als 1 Prozent ihres Einkommens ausgeben.

Laut einer hauseigenen Studie wären bei Zusatzprämien von 15 Euro sogar 96 Prozent der AOK-Mitglieder als Härtefälle einzustufen. Wolfgang Schmeinck, Vorsitzender des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen, plädiert dafür, den Zusatzbeitrag wieder aus dem Gesetzentwurf zu streichen: „Der jetzt geplante Zusatzbeitrag löst nicht eines der Probleme des Gesundheitssystems. Und darum sollte es eigentlich gehen.“

ANNA LEHMANN