O-Platz etwas weniger besetzt

ASYL Ein Teil der Flüchtlinge hat das umstrittene Camp geräumt. Am Nachmittag kam es zu Zusammenstößen zwischen Flüchtlingsgruppen, Unterstützern und der Polizei

„Der Senat hat die Flüchtlinge gegeneinander aufgehetzt“

HAKAN TAS, LINKE

VON MARINA MAI

Auf dem besetzten Oranienplatz in Kreuzberg haben Flüchtlinge am Dienstag die meisten Hütten und Zelte abgebaut. Zudem war der Bezirk am Nachmittag mit mehreren Hundertschaften Polizei vor Ort.

Morgens um sechs Uhr kamen Senatorin Dilek Kolat (SPD) und Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) mit Räumtechnik und der BSR auf den Platz. Im Schlepptau: eine Gruppe ehemaliger Oranienplatz-Besetzer, die seit November in einem ehemaligen Caritas-Heim in Wedding wohnen.

Sie unterstützen die Vereinbarung, die ein Teil der Flüchtlinge im März mit dem Senat getroffen hatte: Kolat hatte zugesichert, Einzelfalllösungen für Asylanträge für die O-Platz-Besetzer und die Flüchtlingen in der ebenfalls besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg zu prüfen – im Gegenzug müsse allerdings der Oranienplatz geräumt werden. Die Räumung der Schule steht noch nicht auf der Tagesordnung, weil für die dort lebenden Flüchtlinge immer noch Unterkünfte fehlen.

Zwei Gruppen

Schnell zeigte sich, dass es zwei Gruppen auf dem Platz gibt: Die einen freuten sich, dass sie endlich aus Zelten und Hütten in ein richtiges Haus ziehen können. Sie packten ihre Sachen und rissen die Zelte selbst ab. Danach wurden sie in ein ehemaliges Hostel am Ostkreuz gefahren.

Die zweite Gruppe traute den vagen Zusagen des Senats nach einem vorläufigen Bleiberecht nicht und wollte darum lieber auf dem Oranienplatz ihren Protest fortsetzen. „Wir wollen nicht abgeschoben werden und keine Duldung haben“, erklärt ein Mann. „Wir wollen die gleichen Bürgerrechte haben wie Deutsche auch. Wir wollen arbeiten.“

Darunter waren vor allem Flüchtlinge aus dem Sudan. Sie wehrten sich gegen den Abriss ihrer Zelte und Hütten und verbarrikadierten sich zum Teil darin. Am späten Vormittag kam es darum zu gewaltsamen Kampfszenen zwischen beiden Gruppen von Afrikanern: Die Gruppe um den Nigerianer Bashir Zaharia aus dem Caritas-Heim stürmte mit Hammern und Brecheisen die verbarrikadierten Hütten und riss sie den Bewohnern über dem Kopf ab. Dabei gab es mehrere Verletzte auf beiden Seiten.

Im Hostel in der Gürtelstraße am Ostkreuz drängten sich seit 7.30 Uhr Umzugswillige am Tresen, um einzuchecken. Ihre Gesichter strahlten. Ein Nigerianer erzählt begeistert: „Ich bin in einem sauberen, schönen Dreibettzimmer mit meinem Freund. Das dritte Bett ist noch frei.“

Seitenhieb für Kolat

Einen Tag zuvor noch hatte die taz denselben Mann am Oranienplatz gesehen. „Wieder ein Tag, an dem nichts passiert“, hatte er gestöhnt. „Genau wie so viele Tage zuvor.“ 102 Plätze gibt es in dem Hostel, die Zahl der Umzugswilligen war mit 150 allerdings höher – obwohl zunächst weit weniger O-Platz-Besetzer auf der Liste von Senatorin Kolat gestanden hatten. Dass sich alle Besetzer registrieren lassen, war Bedingung für das Angebot des Senats. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) komentierte süffisant: „Frau Kolat hat im Laufe des Tages den Überblick verloren.“

Gegen Mittag spitzten sich die Kampfszenen auf dem Oranienplatz zu. Die Räumungsgegner hielten spontane Kundgebungen ab, unterstützt von Linksautonomen, die inzwischen hinzugekommen waren. Am frühen Nachmittag umstellte schließlich die Polizei mit 400 Mann den Oranienplatz und räumte 25 Besetzer vom Platz.

Der linke Flüchtlingspolitiker Hakan Tas kritisiert, dass hier „der Senat zwei Gruppen von Flüchtlingen regelrecht aufeinandergehetzt hat“. Eine deutsche Camp-Unterstützerin fällt ihm ins Wort: „Die machen doch den Job der Bullen.“ Die grüne Abgeordnete Canan Bayram sagt: „Es macht mich betroffen, dass hier Flüchtlinge unter Einsatz ihres Lebens ein Angebot des Senates verteidigen, von dem sie noch nicht einmal wissen, ob es ihnen wirklich eine Perspektive gibt.“

Kritik am Bezirk

Bayram zeigte sich auch skeptisch, ob die freudestrahlend in das Hostel gezogenen Flüchtlinge „in zwei Wochen immer noch so strahlen, wenn sie vielleicht feststellen, dass sie in anderen Bundesländern schon zur Abschiebung ausgeschrieben wurden“.

Der Piraten-Abgeordnete Fabio Reinhardt kritisiert derweil den grünen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der gestern den Polizeieinsatz angefordert hatte. „Bezirk und Senat hätten den Dialog lieber fortsetzen sollen und alle mit ins Boot nehmen sollen.“

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