Alle Industriewünsche erfüllt

REFORM I Die Wirtschaft muss sich auch in Zukunft nicht stärker am Ökostromausbau beteiligen als bisher. Alle befreiten Unternehmen behalten Rabatt bei EEG-Umlage

„Es geht nicht um Lobbyismus, sondern um Arbeitsplätze“

SIGMAR GABRIEL (SPD)

AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT

Dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Wirtschaft bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) nicht übermäßig belasten wollte, hatte sich abgezeichnet. Doch dass die Industrie nun überhaupt nichts zusätzlich bezahlen soll, sondern insgesamt wohl sogar entlastet wird, war auch für viele Experten überraschend. Doch genau das ist der Kern der Einigung mit der EU-Kommission, die Gabriel am Dienstag vorstellte. Die Kommission hatte die Privilegien für die deutsche Industrie als Wettbewerbsverzerrung gewertet und auf Änderungen gedrängt. Doch nach wochenlangen Verhandlungen fallen diese nun extrem zahm aus. Gabriel sagte, zu hohe Energiepreise gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit: Es gehe nicht „um Industrielobbyismus, sondern um Hunderttausende Arbeitsplätze“.

Von der EEG-Umlage, mit der der Ausbau von Ökostromkraftwerken finanziert wird, können künftig weiter viele Unternehmen teilweise befreit werden. Die EU hat eine Liste von 65 Branchen erarbeitet, die automatisch einen Rabatt von 85 Prozent bekommen dürfen. Besonders energieintensive Unternehmen werden noch weiter entlastet: Abhängig vom Anteil der Stromkosten an der Bruttowertschöpfung sollen die Ausgaben für die EEG-Umlage im besten Fall auf 0,5 Prozent der Bruttowertschöpfung begrenzt werden. Die EU hatte ursprünglich mindestens 2,5 Prozent gefordert. Viele besonders energieintensive Unternehmen werden durch die Regelung in Zukunft weniger bezahlen als bisher.

Auch Unternehmen, die nicht zu den generell privilegierten Branchen gehören, können in den Genuss der Rabatte kommen. Das ist möglich, wenn sie bestimmte Grenzwerte beim Stromkostenanteil erreichen und ihre Branche im internationalen Wettbewerb steht. Selbst jene Unternehmen, die künftig nicht mehr diese Kriterien erfüllen – laut Gabriel sind das rund 400 –, dürfen sich freuen: Sie sollen eine Art Bestandsschutz genießen und dauerhaft 80 Prozent Rabatt bei der EEG-Umlage bekommen.

Während Gabriel davon ausgeht, dass die Industrie durch die Reform insgesamt etwa genauso viel für die Energiewende bezahlt wie bisher, kommt Felix Matthes vom Öko-Institut in einer ersten Berechnung auf eine zusätzliche Entlastung von mindestens einer Milliarde Euro.

Fest steht: Die privaten Stromkunden, die die Rabatte der Industrie finanzieren müssen, können – anders als im Wahlkampf versprochen – also nicht auf sinkende Preise hoffen. Dies sieht Gabriel nicht als Problem. „Es nützt nichts, wenn die Menschen 45 Euro im Jahr sparen, aber dafür ihren Arbeitsplatz verlieren“, sagte er.

In den Gesetzentwurf für die Neufassung des EEG, das das Bundeskabinett am Dienstag verabschiedet hat, sind die künftigen Regelungen für die Industrie noch nicht eingearbeitet, weil die Einigung zu kurzfristig kam. Umgesetzt wurden aber die Änderungen, die die Bundesländer in der vergangenen Woche durchgesetzt hatten: Der Ausbau von Wind und Biomasse wird weniger stark beschränkt als bisher geplant.

Außerdem zahlen Unternehmen weiterhin keine Umlage für Strom aus bereits existierenden eigenen Kraftwerken. Neue Industrieanlagen werden bis zu 85 Prozent befreit, während Privatleute für ihren selbst verbrauchten Ökostrom ab einer bestimmten Größe 50 Prozent der EEG-Umlage zahlen sollen. Zudem wurde eine Einigung bei der Beteiligung von Schienenbahnen erreicht: Sie zahlen künftig einheitlich 20 Prozent der EEG-Umlage.

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