Der Fluglärmtest

LUFTVERKEHR In Spandau kann man studieren, was auf Lichtenrade oder Mahlow zukommt. Alle paar Minuten donnern Maschinen aus Tegel vorüber. Die Leute nehmen’s gelassen

 Die Deutsche Flugsicherung: Die DFS legt die Flugrouten über Deutschland fest. Die für den künftigen Großflughafen in Schönefeld hat die DFS im September vorgestellt. Seither herscht Aufregung im Süden Berlins, der in Höhen zwischen 1.000 und 3.000 Metern überfolgen werden könnte.

 Die Flugspuren: Auf der Homepage www.dfs.de kann man die derzeitigen Flugbewegungen über Berlin sehen. Dort sind auf einer Karte alle Flieger über der Stadt online – aus Sicherheitsgründen um 30 Minuten zeitverzögert. So kann man Spuren und Flughöhen jedes einzelnen Fliegers aus den letzten 14 Tagen verfolgen. Zusammen mit den Startdaten des Flughafens Tegel ließen sich die acht Flieger am Montagnachmittag über Spandau identifizieren.

 Die Überraschung: Flughöhen über 2.000 Meter, wie sie den Zehlendorfern bevorstehen, gibt es es in Spandau nicht. Dort fliegen die Jets wesentlich tiefer und lauter, in etwa den Höhen, wie sie Mahlow oder Lichtenrade-Süd drohen.

VON NINA APIN

Angst vor Fluglärm bestimmt die Diskussion über die geplanten Flugrouten des Großflughafens BBI. Vor allem im Südwesten befürchten die Bewohner, dass Krach und Benzingestank ihre Ruhe beeinträchtigen. Zu Recht? In Spandau kann man jetzt schon erleben, wie es sich anfühlt, wenn ein Airbus in 1.500 Meter Höhe über die Dorfkirche donnert. Eine Ortsbegehung mit acht Flugbeispielen.

Flug 1: Swiss

Swiss International nach Zürich. Gestartet: 15.07 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 319. Gesehen: 15.09 Uhr am Standort Brunsbüttler Damm Ecke Nennhauser Damm. Flughöhe: ca. 1.500 Meter.

Mit einem lauten Fauchen fliegt die Maschine hoch über den Einfamilienhäusern von Staaken und beschreibt irgendwo hinter den Feldern einen Bogen. Das Echo hallt lange nach. Auf der Kreuzung ist das Fauchen nur ein Geräusch unter vielen. „Stört Sie der Fluglärm?“ Die gebrüllte Frage, gerichtet an eine Frau auf dem Fahrrad, geht im Lärm der vorbeidonnernden Lkws unter. Fluglärm ist hier nicht das Hauptproblem.

Flug 2: Lufthansa

Lufthansa nach München. Gestartet: 15.09 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 310. Gesehen: 15.11 Uhr an der Dorfkirche Alt-Staaken, Hauptstraße. Flughöhe: ca. 1.800 Meter.

Nur wenige Meter hinter der Kreuzung beginnt der Dorfkern von Alt-Staaken. Die Dorfkirche, ein schlichter Bau mit gedrungenem Turm, steht an einer Hauptverkehrsstraße. Auch hier, 2,5 Kilometer vor der Stadtgrenze, fügt sich das Flugzeugfauchen in die allgemeine Lärmkulisse ein. Die alte Bäckerei ist verlassen, die ehemalige Bäckerin ist nun Verkäuferin im Backshop wenige Häuser weiter. Seit 20 Jahren wohnt Marianne Brauer* dort, „an die Flugzeuge haben wir uns alle längst gewöhnt“, sagt sie, der Straßenverkehr sei schlimmer. Im Weidenweg, wo es ruhiger ist, werkelt Walter Letzow* an der Garage seines Eigenheims. Erst vor anderthalb Jahren ist er hierhergezogen. Wie sehr ihn der Fluglärm stört? „Ich hab gut isolierte Fenster, das macht mir nix“, sagt er erst. Aber zwischen 16 und 20 Uhr sei schon „viel los in der Luft“. Manchmal sei es einen Tick zu laut für die Entspannung im Gartenliegestuhl. „Ick würde mal sagen, Note 2,5 für meine Wohnlage“, bilanziert Letzow und verschwindet in seiner Garage.

Flug 3: Transport

Transportflugzeug mit Propeller. Gestartet: 15.32 Uhr. Flugzeugtyp: C130 Gesehen: 15.35 Uhr am Döberitzer Weg. Flughöhe: ca. 900 Meter.

Die Maschine brettert direkt über die Häuser entlang des Döberitzer Wegs. Trotz Straßenverkehrs dröhnt das Röhren laut in den Ohren. Nicole Schulze, die gerade mit ihrer kleinen Tochter aus einem Wohnblock am Nennhauser Damm kommt, stört das Geräusch nicht. „Ich bin mit den Flugzeugen aufgewachsen“, sagt sie. Schlafen bei offenen Fenstern im Sommer? Absolut kein Problem, meint sie. Sie habe lange am Kurt-Schumacher-Platz in Reinickendorf gearbeitet, „dagegen ist es hier mucksmäuschenstill“. Gewohnt habe sie in der Einflugschneise, drüben in der Gartenstadt, auch dort habe man stets mit offenen Fenstern geschlafen und vom Schlafzimmerfenster aus den startenden Maschinen nachgeschaut. Sie fahre übrigens gerade zu ihren Eltern. „Wollen Sie mitfahren und mal horchen?“

Flug 4: SAS

SAS nach Kopenhagen. Gestartet: 15.54 Uhr. Flugzeugtyp: CDJ9. Gesehen: 15.57 Uhr am Luftschifferweg. Flughöhe: ca. 1.200 Meter.

Ein dumpfes Brummen über dem Einfamilienhaus am Luftschifferweg. Im Erdgeschoss, wo Frau Schulz den unverhofften Besuch empfängt, ist es bei geschlossenen Fenstern gedämpft zu hören. Trotzdem: „Man wird morgens früh wach. Und im Sommer ist es tagsüber schlimm“, sagt Frau Schulz.

Seit 23 Jahren wohnt sie hier, wo man die Airline-Logos der startenden und landenden Maschinen lesen kann. Ans Wegziehen habe sie aber nie gedacht, die Gartenstadt sei eine schöne Wohngegend, so störend sei der Fluglärm dann auch wieder nicht. „Wenn man einen gut erreichbaren Flughafen haben will, muss man auch den Lärm in Kauf nehmen“, sagt Tochter Nicole Schulze. „Eins ohne das andere geht nicht.“ Die Protestaktionen der Vorortbewohner gegen die geplanten Schönefeld-Flugrouten findet sie „etwas albern“. „Die wollen doch auch fliegen. Und solange der Fluglärm andere betraf, hatten sie nichts dagegen.“

Flug 5: Air Berlin

Air Berlin nach Frankfurt. Gestartet: 16.03 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 319. Gesehen: 16.05 Uhr am Luftschifferweg. Flughöhe: ca. 1.300 Meter.

Durch das geöffnete Dachfenster kann man den Schriftzug von Air Berlin mühelos entziffern. Die startende Maschine macht ordentlich Lärm. „Wenn die landen, fliegen sie noch tiefer“, sagt Nicole Schulze fröhlich. Für die Genossenschaftswohnungen der Gartenstadt-Siedlung um die Ecke gebe es dennoch Wartezeiten von mehreren Jahren, so beliebt sei die Gegend.

Beim Rundgang durch die von niedriger Reihenbebauung und giebelbesetzten Backsteinhäusern geprägte Nachbarschaft wähnt man sich tatsächlich auf dem Dorf. Nur die alle paar Minuten vorüberbrummenden Flugzeuge verleihen der Gegend urbanes Flair.

Flug 6: Ukraine Int.

Ukraine International nach Kiew. Gestartet: 16.37 Uhr. Flugzeugtyp: Boeing 737-400. Gesehen: 16.38 Uhr an der Seegefelder Straße Ecke Zeppelinstraße. Flughöhe: ca. 1.200 Meter.

Nordöstlich der Gartenstadt Staaken und nördlich der Bahnlinie verläuft die Seegefelder Straße. Der Bus 130 fährt in Richtung Norden, ins Falkenhagener Feld. Die Einsteigenden amüsieren sich über die Reporterin, die dem Flugzeug nachschaut und das Fluggeräusch auf der Straße nach Schließen der Tür und schließlich bei laufendem Busmotor vergleicht. „Das ist unser Sound hier“, sagt ein Fahrgast, der sich als „alter Spandauer“ vorstellt. Der „paar Flieger“ wegen habe er sich noch nie aufgeregt – dass der benachbarte Flughafen Tegel in zwei Jahren dichtmache, sei schade.

„Wenn man einen gut erreichbaren Flughafen haben will, muss man auch den Lärm in Kauf nehmen. Die Proteste im Berliner Süden sind etwas albern“

NICOLE SCHULZE, SPANDAUERIN

„Wir Spandauer müssen künftig quer durch die ganze Stadt gurken“, pflichtet ihm eine Frau bei. Ob sie oft fliege? Sie antwortet Undeutliches und steigt aus.

Flug 7: British Airways

British Airways nach London. Gestartet: 16.48 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 320. Gesehen: 16.50 Uhr an der Zeppelinstraße Ecke Pionierstraße. Flughöhe: ca. 900 Meter.

Das nördliche Falkenhagener Feld ist eine einfache Wohnlage mit Mehrfamilienhäusern und Wohnblocks. Ruhig ist es hier. Nur das Flugzeug, das über den Friedhof donnert, ist sehr laut. In etwa so, wie es nach den geplanten Flugrouten für den Schönefelder Großflughafen bald in Blankenfelde oder Mahlow werden dürfte.

Flug 8: Air Berlin

Air Berlin nach Nürnberg oder Frankfurt. Gestartet: 17.12 Uhr. Flugzeugtyp: Airbus 319. Gesehen: 17.14 Uhr am S-und U-Bahnhof Spandauer Damm. Flughöhe: ca. 900 Meter.

Ein vernehmliches Dröhnen, dicht über den Bäumen sind deutlich die Farben von Air Berlin auf der Heckflosse des Flugzeugs zu erkennen. Inmitten von an- und abfahrenden Bussen, Straßenkreuzungen, Passantenströmen und einem Feuerwehreinsatz interessiert das aber niemanden. Schon gar nicht die Jugendlichen, die vor dem Imbisspavillon skaten und sich die Ohren mit diversen Musikabspielgeräten verstopft haben. Die Frage, wie es sich so lebt in der Einflugschneise eines Großstadtflughafens, wirkt hier ziemlich deplatziert. Trotzdem: Wie lebt es sich damit? „Na, super halt, wat soll sein“, sagt ein Halbwüchsiger an der Ampel. Wer weiß, vielleicht greift diese lässige Haltung bald auch auf den südlichen Speckgürtel über.

„Irgendwo müssen die schließlich langfliegen“, sagte auch Nicole Schulze aus Staaken. Mal sehen, wie dieses Argument in den künftig betroffenen Gebieten ankommt. Spandau jedenfalls soll den Angaben der Deutschen Flugsicherung zufolge entlastet werden. Die Bewohner werden gelassen bleiben: Sich an das Fehlen von Lärm zu gewöhnen ist sicher leichter als an sein plötzliches Auftreten.

*Namen von der Redaktion geändert