Italiens Fluggesellschaft im Sturzflug

Regierungschef Prodi zeichnet drastisches Bild: Alitalia hat nur noch bis Januar Zeit, um die Pleite abzuwenden

ROM taz ■ Entweder Alitalia unterzieht sich einer Radikalsanierung – oder Italiens nationale Fluglinie steht vor dem Aus. Diese drastische Alternative unterbreitete Ministerpräsident Romano Prodi gestern den Gewerkschaften bei einem Gespräch über die Zukunft der seit Jahren krisengebeutelten Alitalia. Der Ministerpräsident sprach von einer Situation, die „völlig außer Kontrolle geraten“ ist, vom „schwierigsten Moment in ihrer Geschichte, den Alitalia durchlebt“. Prodi fixierte auch einen Zeithorizont: Eine Lösung müsse bis zum Januar her, um den Zusammenbruch abzuwenden.

Heute wird die Regierung die Krisengespräche fortsetzen und mit der Firmenleitung unter Alitalia-Präsident Giancarlo Cimoli verhandeln. Prodi sitzt dabei in doppelter Rolle am Tisch: einerseits als von den Gewerkschaften angerufener Schlichter, andererseits als Vertreter des Haupteigners, denn der Staat hält noch 49 Prozent der Alitalia-Aktien.

Die im September vorgelegten Zahlen für das erste Halbjahr 2006 und ein letzte Woche veröffentlichtes Papier von Cimoli machten erneut allen Beteiligten klar, dass die seit zehn Jahren schwelende Dauerkrise in ein akutes Stadium getreten ist. Die Ende 2004 eingeleiteten Sanierungsbemühungen haben in den Bilanzen keine Spur hinterlassen. Die Verluste schossen in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres auf 221 Millionen Euro hoch (gegenüber 125 Millionen 2005), obwohl das Management versprochen hatte, im Jahr 2006 werde Alitalia wieder in der Gewinnzone sein. Das mit fast einer Milliarde Euro verschuldete Unternehmen ist, darf man Cimoli glauben, todkrank. Der Chef warnte davor, neues Kapital nachzuschießen – schon das jetzt im Unternehmen steckende Geld werfe ja keine Rendite ab.

Schuld sind, so die Alitalia-Spitze, neben hohen Spritpreisen und der Konkurrenz der Billig-Fluglinien vor allem die Gewerkschaften. Dauernde Streiks hätten Alitalia zusätzlich zugesetzt. Die Streiks erklären sich aus dem hinhaltenden Widerstand gegen die Umsetzung des Sanierungsplans von Ende 2004. Damals war Alitalia in zwei Gesellschaften – eine für den Flugbetrieb (Alitalia Fly) und eine für die Bodendienste (Alitalia Services) – zerlegt worden. Die Gewerkschaften trugen diese Grundsatzentscheidung mit, sind mit dem Management aber bei der Abwicklung des Abbaus von 1.000 Beschäftigten beim fliegenden Personal über Kreuz.

Daher ist das Verhältnis zwischen den Gewerkschaftsvertretern und Alitalia-Chef Cimoli, der bei seinem Antritt vor gut zwei Jahren noch als geschickter Verhandler willkommen geheißen worden war, völlig zerrüttet. Deshalb hat sich jetzt Prodi in die Verhandlungen eingeschaltet. Eine „starke nationale Linie“ will er Italien sichern, mit starken internationalen Partnern. Wie die zum Einstieg bewogen werden sollen, ist jedoch unklar. Die bisherigen Partner Air France und KLM halten sich bisher sehr bedeckt, wenn es um einen direkten Einstieg in die defizitäre Alitalia geht. In der Tat könnte es lohnender sein, erst mal deren Pleite abzuwarten – und sich dann aus der Konkursmasse zu bedienen. MICHAEL BRAUN