Gefährliche Chemikalien unter EU-Kontrolle

EU-Parlament nimmt verwässerte Form der Chemikalienrichtlinie zurück. Zulassung von Stoffen wird zeitlich begrenzt

BRÜSSEL taz ■ Das EU-Parlament will die Chemikalienrichtlinie (Reach) retten. Gestern stimmte eine große Mehrheit im federführenden Umweltausschuss dafür, zuvor gestrichene ehrgeizige Forderungen aus der ersten Lesung wieder einzubringen. Demnach soll die Zulassung gefährlicher Stoffe auf 5 Jahre begrenzt werden. Danach muss neu nachgewiesen werden, dass es immer noch keine Ersatzstoffe gibt, die weniger bedrohlich sind.

Besonders gefährliche Stoffe dürfen nur zugelassen werden, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Die Firma muss nachweisen, dass sie die Risiken kontrollieren kann. Es darf keine sichere Alternative geben. Die Vorteile für die Gesellschaft müssen höher sein als die gesundheitlichen Risiken. Auch kleine Stoffmengen zwischen 1 und 10 Tonnen sollen voll in das Registrierungsverfahren einbezogen werden.

Abgeordnete der konservativen EVP, die als einzige gegen die Verschärfung der Richtlinie gestimmt hatten, rechneten nach der Abstimmung die zusätzlichen Kosten vor. Allein die sozioökonomische Risikoabwägung, die etwa Arbeitsplatzverlust gegen mögliche Gesundheitsschäden aufrechnen soll, werde für jeden Stoff 70.000 Euro kosten. Etwa 400 Stoffe, die für die Herstellung von High-Tech-Produkten gebraucht würden, könnten in der EU nicht mehr verarbeitet werden, sollte Reach in dieser Form in Kraft treten, sagte die konservative Abgeordnete Ria Oomen-Ruijten.

Derartige Zahlen sind allerdings reine Spekulation. Derzeit gibt es nur für 200 der 30.000 in Umlauf befindlichen chemischen Stoffe detaillierte Informationen über Eigenschaften und gesundheitliche Wirkungen. Erst wenn die übrigen bei der neuen Chemie-Agentur in Helsinki angemeldet werden, können genauere Angaben gemacht werden.

„Wenn es nach den Vorstellungen des Umweltausschusses geht, wird Reach das teure und bürokratische Verordnungsmonster, vor dem wir seit Jahren warnen“, erklärte Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie. Umweltverbände lobten das Parlament hingegen dafür, den ursprünglichen Ansatz von Reach – die Produktion sicherer und gesundheitsschonender Alternativen zu fördern – wieder eingebracht zu haben. Die grüne EU-Abgeordnete Hiltrud Breyer hob positiv hervor, dass die Sorgfaltspflicht der Produzenten verbindlich festgeschrieben werden solle und damit mögliche Schäden rechtlich einklagbar seien.

Bis zur zweiten Lesung im Plenum im November stehen Rat und Parlament nun harte Verhandlungen bevor. Der verantwortliche sozialistische Berichterstatter Guido Sacconi zeigte sich optimistisch, dass die Regierungen den Wünschen des Parlaments entgegenkommen werden. „Nach der deutlichen Mehrheit in der heutigen Abstimmung können wir selbstbewusst in die Verhandlungen gehen. Das gibt dem Rat hoffentlich Stoff zum Nachdenken.“

Die Warnungen der Chemieindustrie, Reach gefährde Arbeitsplätze in Europa, hält Sacconi für übertrieben. Kleine Mengen müssten erst 2018 registriert werden. „Da bin ich längst in Rente. Wenn die betroffenen Industriezweige sich bis dahin nicht an die neue Gesetzeslage angepasst haben, dann ist es nicht die Schuld von Reach.“

Ein gewaltiges Handikap bleibt dem Gesetzesprojekt aber trotz Nachbesserungen im Umweltausschuss auf alle Fälle erhalten: Importeure müssen viel weniger Daten vorlegen als europäische Produzenten. Damit fördert Reach indirekt die Verlagerung von Produktionsstätten aus der EU. Derzeit beschäftigt die Branche in Europa 1,3 Millionen Menschen in 27.000 chemischen Betrieben.DANIELA WEINGÄRTNER