Ästhetisches mit Hintersinn

KUNST Den Raum überarbeiten: Jochen Schmith im Kunstverein Langenhagen

Jochen Schmith also. Hinter diesem fiktiven künstlerischen Autor stecken Carola Wagenplast, Peter Steckroth und Peter Hoppe: drei jüngere KünstlerInnen, die sich im Jahr 2000, im ersten Kunsthochschulsemester, in Hamburg trafen und seither zusammen arbeiten. Von ihrem Lehrer, dem Israeli Eran Schaerf, nahmen sie vielleicht mit, sich für die geschichtlichen Hintergründe gesellschaftlicher Zusammenhänge zu interessieren.

Eigen ist den Arbeiten Jochen Schmiths aber die Auseinandersetzung mit dem Raum. Sei es ganz konkret mit dem Raum einer Ausstellung oder mit alltäglichen, auch halböffentlichen Orten, die sie begehen und untersuchen, deren Phänomene sie einsammeln und in neue Präsentationsformen übertragen.

Gesammelte Phänomene

Ihr Projekt in einer Hamburger Arbeitsagentur zum Beispiel: Endlose Flure voller arbeitssuchender Menschen hatten sie als medial vermitteltes Bild im Kopf gehabt, und das wollten sie eigentlich filmen. Aber die Flure waren leer, die Türen zu den Beratungszimmern standen einladend offen. Und so ließen Jochen Schmith sich beraten – für den Beruf des Künstlers.

Die Tonmitschnitte, ins Englische übertragen, sind zurzeit im Kunstverein Langenhagen zu hören. Ein kleiner Lautsprecher hängt da auf einem Tapetenmuster des englischen Malers und Sozialreformers William Morris. „News from Nowhere“, ein Titel Morris’, ist man geneigt, zu den unfreiwillig absurden Gesprächen zu assoziieren.

Auch dieser Raum wird überarbeitet. Während Jochen Schmith Anfang des Jahres die teils überformte klassizistische Substanz des Kunstvereins Braunschweig – zugemauerte Dienstbotentüren, alte Raumzusammenhänge und Repräsentationselemente – kenntlich machten, ist in Langenhagen nicht die Geschichte der früheren Kegelbahn Ausgangspunkt. Vielmehr werden die typischen Ausstattungsmomente eines kleinen Ausstellungsraums aus den 90er Jahren mit einer neuen Wahrnehmungsschicht gebrochen.

Also ist hier nun der neutrale hellgraue Bodenbelag mit schwarzen, körnigen Bitumenbahnen belegt, die indirekte künstliche Beleuchtung wird durch quer über den Raum gespannte Neonbänder ersetzt. Abgehängte leichte Wände aus gelochten Platten segmentieren die Länge des Raums halbdurchsichtig in drei Abschnitte.

Triviales zu Kunst – oder?

Im mittleren Raum entsteht eine Schatzkammer mit einigen Objekten, die – ähnlich wie die temporären Raumeingriffe – Vorgefundenes hintersinnig umdeuten. Ein taz-Foto von einer Milliardärsparty in St. Petersburg etwa ist als großformatiger Siebdruck zum Kunstwerk erhoben – oder gerade nicht? Acht Zigarrenstummel, Ergebnis mehrjähriger Sammelarbeit in den „Collectors’ Lounges“ von Kunstmessen, sind in Bronzeobjekte überführt, dargeboten auf einer edlen Unterlage aus Samt und Leder, die ein Hamburger Schachtelmacher anfertigte.

All das ließe sich natürlich auch theoretisch aufladen, zur Bloßstellung gesellschaftlicher Rituale und Wertschöpfungsprozesse zum Beispiel. Aber auch jenseits davon bieten sich ästhetisch einfangende Momente, die Weiterdenken inspirieren. Mehr kann man von zeitgenössischer junger Kunst eigentlich nicht erwarten. BETTINA MARIA BROSOWSKY

Bis 28. November, Kunstverein Langenhagen