Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

LARS PENNIG

Einer der seltsamsten Filme von Robert Siodmak ist „Pièges“ (1939): Schon nach wenigen Minuten schert sich der Krimi so wenig um seine eigene Geschichte, dass die Frage nach dem Täter völlig in den Hintergrund tritt. Das Taxi-Girl, das im Auftrag der Polizei ausgezogen war, um den Mörder einer Kollegin zu finden, erlebt stattdessen Abenteuer mit einem irren Modeschöpfer (Erich von Stroheim) und bietet einem durchtriebenen Mädchenhändler mit Witz und Mut Paroli. Als sie sich dann noch in einen singenden Nachtclubbesitzer verliebt, wird die Frage, wer für ganze fünf Jahre sieben sibirische Zwerge als Varieténummer engagiert hat, allemal wichtiger als die Verhaftung eines Mörders. Und als ein Kommissar das Rätsel doch lösen möchte, beginnt der Film wieder von vorn – und gibt den heiteren Ton der ersten 80 Minuten zugunsten eines düsteren Melodrams auf. (Om engl. U, 11. 4., Zeughauskino)

Deutlich rigider und weniger sinnenfroh geht es im Kino des Franzosen Robert Bresson zu, dem das Arsenal eine umfassende Retrospektive widmet. Für Bresson war jede Einstellung eines Film eine moralische Frage: richtig oder falsch. Zwischentöne gab es bei ihm nicht, mit großer Präzision erzählen Bild und Ton immer nur das Notwendigste. Als grundsätzlich falsch hatte er auch die Mimik, Gestik und Intonation professioneller Schauspieler erkannt und arbeitete deshalb seit seinem dritten Spielfilm „Tagebuch eines Landpfarrers“ (1951), einem Drama um einen an seiner Aufgabe scheiternden Pfarrer nach Georges Bernanos, ausschließlich mit von ihm „Modelle“ genannten Laiendarstellern, die er durch endlose Proben und Wiederholungen zur völligen Ausdruckslosigkeit trieb. Die Unerbittlichkeit, mit der Bresson seine Moralanalysen betrieb, zeigt sich bis zu seinem letzten Film „L’argent“ (1983), der von der wissentlichen Weitergabe von Falschgeld und den Folgen erzählt: Immer wieder zeigt die Kamera Hände, Geld und den Akt des Umtauschs – bis das Falschgeld schließlich erkannt wird und an einem unschuldigen Heizöllieferanten hängen bleibt, der damit in den Abgrund gerissen wird. (Tagebuch eines Landpfarrers 12. 4.; L’argent, 13. 4., Arsenal 1)

Eine strenge filmische Form fand auch Jacques Tati für „Playtime“ (1967), seine überzeugendste Variation des Themas von der Verlorenheit des Menschen in der modernen Welt: Der französische Regisseur filmte größtenteils in Totalen und rückt seine Gags dabei an den Rand des Geschehens, wo sie zu einem Teil von Monsieur Hulots Irrläufen durch ein imaginäres, hypermodernes Paris voller Glas- und Betonfassaden werden, in dem die einzelnen Gebäude und Räume austauschbar und ihrer Funktion entkleidet sind. (13. 4., Arsenal)