Die Liebe ist von gestern

BEGRIFFE Wird die Liebe zerredet? Quatsch, sagt der Autor Torben Guldberg. Alle sprechen bloß über Sex und Beziehungen. Eine Begegnung im Erotik-Museum

Er sucht Liebe in ihrer abstrakten Form – eigentlich sucht er einen Gott für Agnostiker

VON LUISE STROTHMANN

Liebe ist niedrigschwelliger als Sex, gesellschaftsfähiger. Deshalb hat das Berliner Beate Uhse Erotik-Museum, gleich um die Ecke des notorischen Bahnhofs Zoo mit seinen Pornokinos, Sexhops und Strichern, seine Ausstellung „Amora“ genannt. Und deshalb stellen Stimmen aus dem Lautsprechern über dem Eingang Fragen wie: „An was denken sie gerade? Liebe? Sex?“, „In jedem Augenblick haben zwölf Millionen Menschen weltweit Sex, wie viele von ihnen machen Liebe?“ Aus einem anderen Lautsprecher stöhnt es nur.

Torben Guldberg ist es zu laut hier, wo Sinnlichkeit mit Touchscreens und Beamern vermitteln werden soll. Er hatte dem Vorschlag zugestimmt, an einen Ort zu gehen, an dem Liebe musealisiert wird, aber dieser ist ihm zu gegenwärtig. Guldberg findet die Vergangenheit ergiebiger, um über die Liebe nachzudenken.

Ein sehr großes Thema

Er hat gerade fünfhundert Seiten zu diesem Thema geschrieben, einen ganzen Roman. Er heißt „Thesen über die Existenz der Liebe“. Den Treffpunkt kennt Guldberg von Christiane F., er musste „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ in der Schule lesen. Er ist Däne, nach Berlin kam Torben Guldberg bisher bloß, um ins Theater zu gehen, vor Jahren, als er noch hauptberuflich Schauspieler war. Dieses Mal ist er als Schriftsteller in der Stadt.

Torben Guldberg ist 35 Jahre alt, trägt Pullunder, Glatze und Dreitagebart. Aber sein Blick ist klar und nicht so verhangen wie auf den Bildern, die sein Verlag gern von ihm veröffentlicht. Er habe vor dem Fototermin damals wenig geschlafen und nur einen Espresso gehabt, sagt Torben Guldberg. Irgendjemand habe sich da wohl gedacht, dass er ein bisschen melancholisch ausschauen sollte. Wie ein sensibler junger Mann eben, der über ein sehr großes Thema schreibt.

Warum ihn Liebe interessiert? „Na ja, so wie alle halt.“ Er sei verheiratet, sagt er. Und würde gern Dingen auf den Grund gehen, ins Große schauen.

Durch das Buch des Mittdreißigers begleitet den Leser ein tausendjähriger Erzähler, der nicht sterben kann. Der Erzähler sammelt vom fünfzehnten Jahrhundert an bis zum zwanzigsten jeweils eine Geschichte, in der es um Liebe geht. Die Geschichten haben Namen wie „Mosaik über gelebte Philosophie“, „Radierung einer Seele“ oder „Die Symphonie der gekauften Liebe“ und handeln von mystischer Vereinigung, Liebe zur Wissenschaft, Individualisierung. Es sind fantastische, in altertümlicher Sprache erzählte Geschichten. Im Leben der Protagonisten kommen weit mehr Zufälle und Sonderlinge zusammen, als in ein alltägliches Leben passen würden.

Torben Guldberg ist einer dieser Leute, die keine Lust mehr haben auf Postmoderne. Darauf, dass junge Schriftsteller nur noch kleine, unprätentiöse Alltagsgeschichten in lakonischem Ton schreiben dürfen. Geschichten, die besser nicht den Anschein erwecken sollten, als verstünden ihre Verfasser eine Welt, die man nicht verstehen kann. Geschichten also, in denen jede große Empfindung so lange dekonstruiert wird, bis auch ihre letzte kulturelle Zwiebelschale abgeschält – und nichts mehr von ihr übrig ist.

Torben Guldberg sucht dagegen etwas, was nicht in diese Zeit zu passen scheint. Er sucht Liebe, die überall ist statt an eine Person gebunden. Er sucht Liebe in ihrer abstrakten Form – eigentlich sucht er einen Gott für Agnostiker.

Im obersten Stockwerk des Erotik-Museums am Berliner Bahnhof Zoo sind die Stimmen leiser geworden. An weißen Puppen kann man G-Punkt und Prostata ertasten, wer erfolgreich ist, wird mit einem Stöhnen belohnt. Daneben stehen Tafeln in Rosa und Rot mit Blumenornamenten, darauf Ratschläge für das perfekte Date. Machen Sie das so, und dann geht alles gut aus.

Torben Guldberg steht davor, reibt sich den Arm. Er kennt viele solcher Ratgeber. „Dass etwas gut ausgeht, bedeutet immer, man bekommt einen Partner, oder die Beziehung funktioniert. Wenn man sehr genau mit den Begriffen ist, geht es oft nicht darum, Liebe zu bekommen, sondern eine Beziehung zu bekommen. Leute reden über Sex, oder sie reden über Beziehungen“, sagt er.

Der Schriftsteller geht die Treppe hinunter und setzt sich auf einen mit rotem Samt bezogenen Stuhl, in den Penisse geschnitzt sind. Hier, einen Stock tiefer, ist es ruhiger. Um Guldberg herum steht der ältere Teil der Ausstellung des Erotik-Museums: japanische Zeichnungen von Samurai beim Liebesspiel aus dem 18. Jahrhundert, eingelegte Geckos zur Potenzsteigerung, Fruchtbarkeitsstatuen aus Bali zwischen Plastikpalmen und aufgeschüttetem Sand. Eine Asservatenkammer des Geschlechtsverkehrs.

Schnipsel der Geschichte

Guldberg hat viel recherchiert für sein Buch, Schnipsel der Geschichte und Philosophenzitate zusammengetragen, von denen seine Erzählungen ausgehen. Das Bild der Liebe, das er zeichnet, hat seinen Platz eher im Mittelalter als im 21. Jahrhundert – ein Stück Gegenaufklärung. Mögen andere darüber diskutieren, ob Liebe eher ein symbolischer Code ist, ein Kommunikationsmedium oder doch die kulturell erlernte Deutung eines Gefühls. Guldberg sagt: „Was ich interessant finde, ist, dass jeder Mensch irgendeine Art hat, über sich selbst hinauszugehen. Wann immer wir versuchen, die Welt zu verstehen oder einem anderen Menschen nahezukommen, bedeutet das, über die eigene Einsamkeit und das eigene kleine Ego hinauszugehen. Das ist eine ziemlich vage Definition, aber es ist eine Art, auf die es zu funktionieren scheint. Wir haben diese Fähigkeit, und wir nennen sie oft Liebe.“

Am Ende seines Buches lässt Guldberg seinen Erzähler sagen: „Wenn Liebe so ist, wie ich sie mir vorstelle, selbstlos, wie das Licht ist, dann kann es mir egal sein, ob ich es bin oder du, der von Geschichten wie diesen klüger wird.“ Es ist eine religiöse Vorstellung, der Glaube an eine Liebe, die irgendwo ist und sich im Einzelnen materialisiert. „Love is all around me“ als eine Art populäre Weltreligion, an die man glauben kann oder auch nicht.

Guldberg sagt, er sei nicht religiös. Aber offen dafür. Europäisch genug, alles selbst erfahren zu müssen, um an etwas zu glauben. Der Aufklärung wegen ist Torben Guldberg ohne Gott aufgewachsen, nun muss er einen Ersatz besorgen und stößt auf seiner Reise in die Geschichte immer wieder auf den einen Satz: Gott ist die Liebe. Ein verdammter Kreislauf.

Torben Guldberg schreibt sich einfach immer weiter in die Vergangenheit. Als er das Erotik-Museum mit seinen vibrierenden Dildos verlässt, redet er schon über das zwölfte Jahrhundert. Über sein neues Buch. Es ist eine Fortsetzung des ersten. Dieses Mal reist der Erzähler vom Jahr 1000 bis 1500 durch die Zeit. Es geht darin um Liebe. Lange, sehr lange vor der Postmoderne.