No more coming out

Das 13. queerfilm festival findet im Bremer Kino 46 statt

„Der queere Film ist erwachsen geworden“, schreiben die VeranstalterInnen des Bremer „queerfilm festival“ in ihren Flyer, und zumindest in ihrem Programm scheint sich dies auch zu bestätigen. Die immergleichen „Coming Out“-Geschichten, in denen ein oder eine extrem attraktive(r) bisher als Hetero Lebende(r) nach vielen dramatischen Verwicklungen seine/ihre tatsächlichen Neigungen und auch noch gleich die wahre gleichgeschlechtliche Liebe entdeckt – diese meist recht kitschigen Wunschfantasien sind inzwischen passé. Der Nachholbedarf, den man dem schwul/lesbischen Publikum zugestand, weil im Kino bisher fast ausschließlich die Sehlust der Heterosexuellen angeregt wurde, ist befriedigt, und nun kann man sich den etwas komplexeren Stoffen widmen. Es gibt allerdings auch eine Tendenz in die andere Richtung, denn es werden immer weniger Filme von Schwulen gedreht, in denen die Problematik der Aids-Epidemie beleuchtet wird. Auch diese Schlacht um das Gesehen- und Gehörtwerden, die in den 90ern so leidenschaftlich bestritten wurde (man erinnere sich, wie gewagt es damals war, als Tom Hanks in „Philadelphia“ einen Aidskranken spielte) scheint gewonnen und dann schnell uninteressant geworden zu sein.

Stattdessen wird zumindest bei der Auswahl von neun Filmen, die bis Sonntag noch im Kino 46 gezeigt werden, ein starkes Gespür für die Geschichte der schwul/lesbischen Bewegung deutlich. Der französische Spielfilm „Un Amour À Taire“ von Christin Faure spielt etwa im von Hitler besetzten Paris und erzählt anhand des Schicksals von zwei jungen Schwulen davon, welche tragischen Konsequenzen ihre Denunziation mit sich bringt. Als eine „Queere Geschichtsstunde“ wird das Doppelprogramm mit den Filmen „Generation CSD“ von Rexi Tom Weller und „Anders Leben – Lesben im Alter“ von Isabel Rodde angekündigt. Die erste Dokumentation handelte davon, wie sich in Deutschland die Bewegung um den „Christopher Street Day“ entwickelte. Der zweite Film ist das Portrait von drei Lesben, die heute Schlüsselpositionen in der Bewegung einnehmen und von ihren persönlichen Erfahrungen von den 50er Jahren bis heute erzählen. Ein weiteres zur Zeit sehr beliebtes Thema ist die „Intersexualität“. Das Roadmovie „Transamerika“ von Duncan Tucker wurde im Frühjahr dieses Jahres hoch prämiert. In dem Spielfilm „Both“ erzählt die Regisseurin Lisset Barcellos die autobiographische Geschichte ihrer eigenen Geschlechtsfindung. Der ästhetisch anspruchvollste Film des Festivals ist eindeutig vom japanischen Kinoprovokateur Takeshi Miike. „Big Bang Love, Juvenile A“ ist eine Phantasmagorie, die in einem extrem stilisierten Gefängnis spielt und von der sadistisch/masochistischen Beziehung zwischen zwei Insassen erzählt.

Der französische Spielfilm „Oublier Cheyenne“ (siehe Bild) ist schließlich ein schönes Bespiel dafür, wie selbstbewusst und komplex einige Regisserinnen inzwischen das Thema der lesbischen Liebe behandeln. Mit ihrer Beziehung gehen sowohl die konservative Lehrerin Sonia und die Aussteigerin Cheyenne wie auch ihre Umwelt ganz selbstverständlich um. Der Konflikt, der die beiden auseinander treibt, könnte genauso gut in einer heterosexuellen Beziehung ausbrechen. Während die eine sich in der Sicherheit eines Bildungsbürgers einrichtet, will die andere die Welt verändern und ohne Kompromisse leben. Das führt bei Cheyenne so weit, dass sie keine Elektrizität mehr benutzt, in kein Auto mehr steigt und in einer Hütte auf dem Land lebt. Eine Beziehung zwischen den beiden scheint unmöglich, und dennoch begibt sich Sonia auf die Suche nach Cheyenne. Der Regisseurin ist eine zugleich kluge und romantische Komödie gelungen – ein im besten Sinne des Wortes erwachsener Film. Wilfried Hippen