Schnell erledigtes Verfahren

Anwalt des im Februar in Untersuchungshaft erdrosselt aufgefundenen Cevdet M. erhebt schwere Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft, Rechtsausschuss und Gefängnisleitung: Tod sei weiter unklar

von Benno Schirrmeister

Es gab keinen Abschiedsbrief. Der Tote hing, mit einem aus Stofffetzen gefertigten Strick ans Fenstergitter gebunden, in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen, Abteilung U-Haft. Die Fußspitzen berührten den Boden, einen halben Meter von der Wand entfernt. Als Tatzeit wird der 21. Februar 2006, 0.00 Uhr, angegeben.

Entdeckt wurde der Leichnam Cevdet M.s um 7 Uhr. Die „Auffindesituation“ sei, so Staatsanwalt Uwe Picard „typisch bei Selbsttötungen“. Es seien „keine Anzeichen von Fremdverschulden“ festgestellt worden. Das sei kein Wunder, sagt M.s Anwalt Martin Stucke. Danach sei auch „nur mäßig gesucht worden“. Man könne nicht „behaupten, der Tod sei geklärt“.

Das hatte der Rechtsausschuss der Bürgerschaft nach einer Sondersitzung getan Ende März getan. Es gebe „nicht den Hauch eines Anhaltspunktes für Verfehlungen“ sagte Wolfgang Grotheer (SPD) damals der taz, und Staatsrat Ulrich Mäurer resümierte: „Die Vorwürfe sind vom Tisch.“ Mittlerweile ruhen die Ermittlungen ganz.

Strafverteidiger Stucke hält das, nach Akteneinsicht, für falsch. Einerseits erhebt er Vorwürfe gegen die JVA – deren „organisatorische Mängel“ die Tat mindestens erleichtert, wenn nicht erst ermöglicht hätten.

Die Justizbehörde verweist diesbezüglich auf die unterdurchschnittlichen Fallzahlen: Die statistische Wahrscheinlichkeit sich als Insasse der U-Haft zu entleiben liege in Bremen bei 0,07, bei Bayern hingegen bei 0,17. Für konkrete Einzelfragen hingegen wird auf den Anstaltsleiter Manfred Otto verwiesen. Eine konkrete Einzelfrage betrifft den Umgang mit den Gefangenen-Personalakten.

Über Stuckes Mandanten gab es eine, weil er wegen zweier Raubüberfälle bis 2003 gesessen hatte. In diesem Dokument sei Cevdet M.s Suizidgefährdung vermerkt gewesen, so der Anwalt. Allerdings sei die Akte nicht in die Abteilung U-Haft überstellt worden, als er dort am Valentinstag 2006 eingewiesen wurde. Tatsächlich wird laut Anstaltsleiter Manfred Otto bei der Einweisung in die U-Haft „jeweils eine völlig neue Akte angelegt“. Ein organisatorischer Mangel ist das allerdings nicht – sondern Ausfluss der Unschuldsvermutung.

Stucke geht aber weiter: Er hält Verdacht auf Fremdeinwirkung für nicht ausgeräumt. „Und das“, so sagt er, „darf auf keinen Fall im Raum stehen bleiben.“ Tatsächlich kam die Absolution durch den Rechtsausschuss auffällig früh: Der vorläufige Obduktionsbericht, am 10. März – einem Freitag – bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, empfiehlt dem Anwalt zufolge noch eine „intensive“ polizeiliche Befassung, weil die Befunde die Möglichkeit des Todes durch Erdrosseln nahe legen. Dass exakt drei Wochen später ein politisches Gremium befinden kann: Alles bestens – das überrascht. Stucke unterstreicht, er habe drei Monate auf die beantragte Akteneinsicht warten müssen. Und warum wendet er sich weitere vier Monate später an die Öffentlichkeit? Er und die Angehörigen hätten „emotionalen Abstand gewinnen“ wollen.

Aber einerseits ist Suizid durch Erdrosseln möglich. Und die Leichenschau, stellt Picard klar, habe Hinweise darauf, „dass jemand Hand angelegt“, Cevdet M. „ergriffen, geschlagen, oder ihn wehrlos gehalten“ hätte „überhaupt nicht erbracht“. Nicht ordnungsgemäß ermittelt zu haben, „den Vorwurf weise ich zurück“, so der Staatsanwalt.