Terror

Zwei Pakete nach Chicago mit Bomben aus dem Jemen wurden gefunden. Ihr Weg führte auch über den Flughafen Köln-Bonn

BERLIN/SANAA/WASHINGTON taz/dpa/afp/dapd | Die Bundesregierung wird als Konsequenz aus den beiden Bombenfunden von East Midlands und Dubai bis auf weiteres keine Luftfracht aus dem Jemen mehr nach Deutschland lassen. Das Luftfahrtbundesamt hat zudem alle Paketdienstleister angewiesen, noch ankommende oder lagernde Fracht aus dem Jemen streng zu kontrollieren. Bisher wird Luftfracht, die Deutschland lediglich im Transit durchquert und auf deutschen Flughäfen umgelagert wird, nicht gesondert kontrolliert, wie ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums der taz sagte. Man gehe davon aus, dass beim Einladen schon eine Kontrolle stattgefunden habe.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte im MDR ein, dass Frachtflüge bislang vergleichsweise wenig kontrolliert worden seien. Schwachstellen würden jetzt analysiert und beseitigt. Er geht zudem davon aus, dass eine Anschlagsserie geplant war. „Es spricht einiges dafür, dass es hier um ein konzertiertes Vorgehen ging“, sagte er. „Wir nehmen den Vorgang ernst, auch wenn Deutschland wohl nicht Anschlagsziel war.“ Seine für Sonntag geplante Reise in den Nahen Osten sagte de Maizière ab. „Der Sicherheitschef muss an Deck bleiben“, sagte ein Ministeriumssprecher.

Wie Sicherheitskreise der taz bestätigten, war eine der beiden Sendungen vom Paketdienst UPS am Flughafen Köln/Bonn umgeladen worden. Demnach hatten saudi-arabische Sicherheitsbehörden dem Bundeskriminalamt (BKA) einen Hinweis auf bedenkliche Luftfracht aus dem Jemen mit dem Ziel USA gegeben. Als das BKA die fragliche Sendung beim Umladen überprüfen wollte, war das Flugzeug aber bereits wieder auf dem Weg. Schließlich wurde das Paket auf dem mittelenglischen Flughafen East Midlands sichergestellt. Doch die Bombe wäre den Fahndern fast durch die Lappen gegangen: Sie wurde erst bei einer zweiten Suchaktion gefunden, nachdem der Bombenfund in Dubai gemeldet geworden war.

Jemens Sicherheitsbehörden nahmen am Wochenende in einem Armenviertel der Hauptstadt Sanaa eine Studentin fest, die verdächtigt wird, die Paketbomben aufgegeben zu haben. Zuvor hatten US-Ermittler sie als Käuferin der SIM-Karte identifiziert, die an einem der beiden Sprengsätze befestigt war. Auf einem Paketschein sei ihre Handynummer entdeckt worden, erklärte das jemenitische Verteidigungsministerium. Auch ihre Mutter wurde festgenommen, am Sonntag kamen sämtliche jemenitischen Mitarbeiter der beiden betroffenen Luftfrachtgesellschaften und der Frachtabteilung des Flughafens Sanaa dazu.

Nach Angaben ihres Anwalts könnte die festgenommene 22-Jährige aber Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden sein. In Sanaa demonstrierten am Sonntag etwa 500 Studenten für die Freilassung der jungen Frau.

Die US-Regierung bot Jemens Behörden ihre Unterstützung bei der Bekämpfung des Terrorismus an. Die USA „stünden bereit“, sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, John Brennan. Der Al-Qaida-Ableger im Jemen sei „eine entschlossene Gruppe“, sagte er dem Sender NBC (siehe Text unten). Möglicherweise gebe es weitere Paketbomben wie die in Dubai und England gefundenen. US-Sicherheitsexperten sind unterwegs in den Jemen, um dort die Sicherheitsmaßnahmen zu überprüfen, berichtete AP unter Berufung auf interne US-Regierungsdokumente. Außerdem solle die Überprüfung von Fracht auf allen US-Flügen verstärkt werden.

Der britische Premierminister David Cameron erklärte, er glaube, dass die Bombe, die in England gefunden wurde, an Bord des Flugzeugs in die USA explodieren sollte. Wie Innenministerin Theresa May sagte, wäre sie stark genug gewesen, die Maschine zum Absturz zu bringen. Das Gleiche gilt nach US-Angaben für die Bombe, die in Dubai sichergestellt wurde. WS

Was waren das für Bomben?

Es handelt sich um zwei Druckerpatronen, in die kleine Mengen des Sprengstoffs PETN gefüllt worden waren. Eine Frau gab sie in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa bei den Frachtfirmen UPS und Fedex als Luftpost für Synagogen in Chicago auf. Die eine wurde am Freitag früh im britischen Flughafen East Midlands entdeckt. Sie war über Dubai nach Köln-Bonn gekommen und wurde dort auf den UPS-Flieger verladen, der in England zwischenlandete. Die andere wurde von Qatar Airways auf einem Personenflug aus Jemen über Katar nach Dubai gebracht und dort entdeckt. Den Ausschlag gab ein Hinweis des saudischen Geheimdienstes.

Was hätten die Bomben anrichten können?

Die in Dubai war mit einer Handy-SIM-Card verbunden; man hätte sie also per Anruf mit dem Mobiltelefon zünden können, zum Beispiel bei der Ankunft in Chicago. Die in East Midlands gefundene Bombe war ähnlich gebaut, hatte aber zusätzlich einen Zeitzünder und hätte damit möglicherweise in der Luft explodieren können. Mehrere Paketdienste, zum Beispiel UPS, geben Kunden neuerdings die Möglichkeit, „ihr“ Paket in Echtzeit online zu verfolgen, einschließlich Flugnummern und Ankunftszeiten. Damit könnten Terroristen genau wissen, wo ihre Bombe gerade ist und wann sie sie am besten „anrufen“ sollen.

Wie konnten die Bomben auf die Flugzeuge kommen?

Luftfracht galt bislang als ein unattraktives Ziel für Anschläge und Flugzeugentführungen. Daher wird nur 5 Prozent der weltweiten Luftfracht genau durchleuchtet; alles andere verteuert und verlangsamt Warentransporte. In Großbritannien akkreditiert das Verkehrsministerium Frachtfirmen nach gründlicher Prüfung; die von akkreditierten Firmen aufgegebene Fracht wird an den Flughäfen nicht gesondert kontrolliert. Im Flughafen East Midlands, wo täglich 10.000 Pakete für die USA umgeschlagen werden, kam es nach dem saudischen Hinweis zu einer ersten Prüfung, bei der die eine Bombe aber unentdeckt blieb. Gefunden wurde sie erst nach einer zweiten, genaueren Kontrolle, nachdem die Bombe in Dubai aufgetaucht war.

Wie konnte die eine Bombe unentdeckt in Deutschland umgeladen werden?

Laut Bundesverkehrsministerium wird Luftfracht im Transit auf deutschen Flughäfen nicht extra kontrolliert. Man geht davon aus, dass die Kontrolle schon stattgefunden hat. TAZ

KAIRO taz | „Der jemenitische Flügel ist der aktivste und gefährlichste Teil des Terrornetzwerks al-Qaida.“ John Brennan, der Antiterrorberater des US-Präsidenten Barack Obama, sprach nach der neusten Entdeckung zweier Sprengstoffpakete mit Absender Jemen aus, wovor Geheimdienste weltweit nun bereits seit Monaten warnen.

Spätestens seit dem vereitelten Anschlag auf eine US-Verkehrsmaschine am Weihnachtstag war allen klar, dass die chaotischen Verhältnisse im Jemen, ähnlich wie die einst in Afghanistan, zu einem internationalen Problem geworden sind. Auch der Anschlag letzten Dezember war damals im Jemen vorbereitet worden.

Der jemenitische Präsident Abdallah Saleh versucht nun verzweifelt das Image seines Landes als Terrorhochburg zu zerstreuen. „Der Jemen setzt alles daran, den Terror zu bekämpfen, aber wir werden es niemandem erlauben, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen“, sagte er am Wochenende. Eine Erklärung, die das ganze Dilemma seiner Regierung deutlich macht. Einerseits braucht sie in der Bekämpfung von al-Qaida Hilfe, vor allem von den USA, aber bitte nicht zu offen, denn genau das könnte die gegenüber den USA skeptisch eingestellte Bevölkerung in die Arme al-Qaidas treiben.

Salehs Zentralregierung in Sanaa ist schwach. Das unübersichtliche und nur von Stämmen kontrollierte jemenitische Hinterland dient den militanten Islamisten als Rückzugsgebiet. „Dort beschaffen sie sich Waffen und Sprengstoff, dort trainieren sie und dort planen sie ihre Anschläge“, erklärt der arabische Terrorexperte Abdallah Haidar. „Al-Qaida im Jemen ist wahrscheinlich weltweit die stabilste Gruppe“, meint auch Ali-Al-Ahmad vom „Institute for Gulf Affairs“ in Washington. Den Kern des Kaders im Jemen bilden mehrere Rückkehrer aus Guantánamo, einige darunter Saudis, denen der Boden in ihrer Heimat aufgrund der Verfolgung durch die saudischen Behörden zu heiß geworden ist. Sie haben sich ins weniger kontrollierte jemenitische Nachbarland abgesetzt.

Die meisten Anschläge führt die Gruppe „al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel“, ein Zusammenschluss der beiden Flügel im Jemen und in Saudi-Arabien, derzeit im Jemen selbst aus. Attentate auf ausländische Botschaften und vor allem auf Einrichtungen des jemenitischen Sicherheitsapparates stehen auf ihrer Tagesordnung. Das Militär startet immer wieder Offensiven. „Wir sind in einen Guerillakrieg verstrickt. Das größte Problem ist die teilweise lokale Unterstützung, die al-Qaida genießt“, sagt ein hoher jemenitischer Sicherheitsoffizier.

Auch wenn Präsident Saleh sich öffentlich immer wieder gegen jegliche Einmischung von außen verwehrt, Tatsache ist, dass die USA versuchen, die Kapazitäten des jemenitischen Sicherheitsapparates zu verbessern. Offiziell befinden sich 50 US-Militärberater im Land. Washington gibt derzeit 150 Millionen Dollar aus, um die Armee des verarmten südarabischen Landes auszurüsten. Seit letzter Woche versucht es die jemenitische Regierung mit einem neuen Rezept, das auch im Irak angewendet wird. Sie rekrutiert Stammesmilizen, bezahlt sie und rüstet sie aus. Die sollen in Zukunft statt oder an der Seite der Armee die Al-Qaida-Kader jagen.

Die Bombenfunde am Wochenende zeigen, wie weit man von dem Ziel, al-Qaida zu schwächen, noch entfernt ist. Selbst die ersten Festnahmen im Zusammenhang mit den Bombenpaketen wirken wenig überzeugend. Bereits am Samstag waren eine Ingenieurstudentin und ihre Mutter in Sanaa verhaftet worden. Ihr Name und ihre Telefonnummer sollen in Verbindung mit der Aufgabe der Pakete stehen. Warum sie willentlich ihre Telefonnummer abgegeben hat, als sie angeblich mehrere Bomben losgeschickt hat, ist bisher ungeklärt. „Sie gilt als stille Studentin und hat keinerlei Beziehungen zu irgendwelchen religiösen und politischen Gruppen“, sagt ihr Anwalt Abdel Rahman Burman. Ihre Kommilitonen haben inzwischen einen Streik begonnen und fordern ihre Freilassung. Vor der Uni halten sie Plakate hoch mit der Aufschrift „Sie ist nur ein Sündenbock“.

Ins Visier der Fahnder gerät immer mehr der mögliche Bombenbastler, der saudische Staatsbürger Ibrahim Hassan al-Asiri. Potenzielle Kämpfer hat al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel viele, mehrere hundert, schätzen Experten, aber es gibt nur wenige, die komplizierte Bomben bauen können, wie al-Asiri, der wahrscheinlich im Jemen lebt. Er steht ganz oben auf der der saudischen Liste der meistgesuchten Terroristen. Karim El-Gawhary