Glanz und Elend der Bewegung

OPER Ulrich Mokrusch bringt mit „Kommilitonen! Young Blood“ die wohl radikalste Operninszenierung in der Geschichte des Bremerhavener Stadttheaters auf die Bühne

Die Aufführung hinterlässt eine gewisse Konfusion: Der letzte Aufschrei dieser Kommilitonen – „Freiheit!“ – bleibt als Abstraktion in der Luft hängen

VON ANDREAS SCHNELL

„Kommilitonen! Freiheit!“, klingt es im Chor noch – da senkt sich eine verspiegelte Wand zwischen uns und der Bühne hernieder. Wobei: Wir sitzen ja auf der Bühne. Jedenfalls schauen wir ganz am Ende dieses Opernabends auf uns selbst. Und wir, das Publikum – das sind bei der Premiere auch zahlreiche Studentinnen und Studenten, die nicht nur, aber auch ihren Kommilitonen zuschauen.

Ulrich Mokrusch hat „Kommilitonen! Young Blood“ von Peter Maxwell Davies und seinem Librettisten David Pountney in Bremerhaven – ganz im Geiste des Komponisten – in Zusammenarbeit mit der Bremer Musikhochschule auf die Bühne gebracht. Fünf Studenten verstärken das Bremerhavener Opernensemble, zum städtischen Orchester, dem Kinder- und dem Opernchor des Stadttheaters kommt noch das Blasorchester der Jugendmusikschule Bremerhaven.

Ausdrücklich hatte Davies, der seit zehn Jahren keine Oper mehr geschrieben hatte, erklärt, Bedingung sei, dass die Oper in Zusammenarbeit mit einer Hochschule aufgeführt werden solle.

Zudem wollte er explizit eine Oper über Studenten schreiben. Und verzahnte in „Kommilitonen! Young Blood“, 2011 in London uraufgeführt, die Geschichte der Weißen Rose, den Kampf des afroamerikanischen Kriegsveteranen James Meredith um einen Studienplatz an der Universität von Mississippi und eine Episode aus der chinesische Kulturrrevolution zu einem dichten Abend, der in eineinhalb Stunden Glanz und Elend studentischer Bewegung zeigt.

„Kommilitonen!“ ist damit nicht nur die jüngste Oper, die je auf der großen Bühne des Bremerhavener Stadttheaters zu sehen war. Ihre Inszenierung dürfte auch das radikalste sein, was dort bislang im Musiktheater auf dem Programm stand.

Zwar fährt Mokrusch durchaus auch schweres Theatergeschütz auf, lässt Podeste auf und ab fahren und zweimal auch das Publikum, das für einen Moment nicht weiß, wie ihm geschieht, über die Bühne rollen, ganz nah heran ans Geschehen.

Aber die Mechanismen der Bühne werden sichtbar, das Publikum sieht Inspizienz und Soufflage bei der Arbeit, ebenso wie Technik und Techniker, die sonst ja immer im Verborgenen wirken müssen, bis wenige Augenblicke vor Beginn der Aufführung tummeln sich sämtliche Mitwirkenden auf der Bühne. Und es sind eine ganze Menge: Das Städtische Orchester Bremerhaven unter der Leitung von Stephan Tetzlaff und der Opernchor des Stadttheaters bekommen Gesellschaft vom Kinderchor des Theaters und dem Blasorchester der Jugendmusikschule Bremerhaven.

Zudem wird das Opernensemble erweitert um Studierende der Musikhochschule. „Kommilitonen!“ so fern jeglicher Operngewohnheit zu inszenieren, ist konsequent: Die Oper erzählt schließlich Zeitgeschichte in den Momenten und Episoden des Widerstands, die sie aufsucht.

Diese Studentenbewegungen sind mal erfolgreich, mal werden sie niedergeschmettert, und mitunter ist ihre Intention durchaus zweifelhaft: So erzählt die China-Episode von zwei jungen Menschen, die ihre eigenen Eltern als Klassenfeinde denunzieren.

Die drei Erzählungen sind dramaturgisch und musikalisch ineinander verschnitten, was Parallelen und Differenzen sichtbar macht. So ergibt sich bei aller Dekonstruktion eine enorme szenische Dichte, die die pausenlosen 90 Minuten dieses Abends wie im Flug vergehen lässt und am Ende eine gewisse Konfusion hinterlässt: Der letzte Aufschrei dieser Kommilitonen – „Freiheit!“ – bleibt als eine Abstraktion seltsam in der Luft hängen. Freiheit – das taucht schließlich in den politischen Diskussionen der Weißen Rose ebenso als Ideal auf wie in den Gedanken des James Meredith. Und auch die Kulturrevolutionäre argumentierten mit Befreiung.

Was wäre also diese ominöse Freiheit, für die seit Neuerem ja auch deutsche Soldaten in alle Welt verschickt werden? Davies lässt das offen. Auch wenn immer wieder ein tiefes Misstrauen gegenüber Massenbewegungen durchscheint, eine Abneigung gegen das, was man Totalitarismus nennt.

Das Personal ist, wie gesagt, kaum überschaubar, doch ragen einige Stimmen heraus: Filippo Bettoschi als James Meredith wäre zu erwähnen, nicht zuletzt aber Franziska Krötenheerdt als Sophie Scholl und Svetlana Smolentsova als Wu.

Generalmusikdirektor Stephan Tetzlaff behält jederzeit den Überblick und formt aus dem facettenreichen Material, das sich von zart schimmernden Dissonanzteppichen bis zur Swing-Einlage auffächert, eine mitreißende Interpretation. Müssen wir noch betonen, dass der Weg nach Bremerhaven lohnt?

Nächste Aufführungen: Samstag, 17. April, 19.30 Uhr, Sonntag, 27. April, 14 & 17 Uhr, Stadttheater Bremerhaven