Schau, Mutter

FAMILIENAUFSTELLUNG Fragen nach Verzicht und Hingabe – She She Pop und ihre Mütter mit dem „Frühlingsopfer“ im Hebbel-Theater

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Wer kontrolliert wen? Diese Frage wird in der von She She Pop und ihren Müttern aufgeführten Performance „Frühlingsopfer“ gleich zu Anfang gestellt. Kontrolliert die Tochter die Mutter, der sie Anweisungen gibt, wie sie auf einem Stuhl zu posieren hat? Oder kontrolliert die Mutter die Tochter, weil sie deren Anweisungen unterläuft und sich beim Posieren in eigene Gedanken zurückzuziehen scheint?

Manchmal sind die Bilder der Mütter überlebensgroß. In prachtvolle Decken gehüllt, beherrschen sie beinahe wie Marienfiguren die vier Leinwände, die im Hebbel-Theater locker von der Bühnendecke herunterhängen. Vor ihnen knien, in Posen nahe der Demut und der Anbetung und sehr viel kleiner als die Bilder, ihre Kinder, real als Menschen auf der Bühne anwesend. Manchmal besetzt ein Kind das Bild der Mutter, nistet sich in einer Doppelbelichtung erst in deren Konturen ein, um sie dann daraus zu vertreiben. Manchmal verkriechen sich die, die einmal die Kinder dieser Mütter waren, wieder in deren Schoß.

So ist die Performance, die am Donnerstag im Hebbel-Theater Premiere feierte, zunächst einmal ein gelungenes Spiel mit Bildern und Spiegelungen, mit Identifikationen und Zurückweisungen, mit Besetzungen, Projektionen und Distanzierungen.

Die vier Performer auf der Bühne (Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou, Berit Stumpf und Sebastian Bark von She She Pop) sind um die vierzig Jahre alt, ihre Mütter (Heike Freiburg, Irene Papatheodorou, Heide Stumpf und Cornelia Bark), die nur im Bild auftreten und akustisch aus dem Off zu hören sind, um die siebzig. Zusammen haben sie in vielen Proben und Gesprächen einen Text erarbeitet, der die Bilder und die sparsamen Gesten pointenreich begleitet und davon handelt, worüber Söhne und Töchter mit ihren Müttern reden und worüber lieber nicht. Gerade die heiklen Punkte, die besser beschwiegen werden, sind aufschlussreich.

Strawinski als Folie

Aber die Auseinandersetzung mit der Selbstfindung der Rollen von Müttern, Töchtern und Söhnen ist nicht alles. Ausgetragen wird sie auf einer historischen Folie, dem außerordentlich expressiven Musikstück „Le Sacre du printemps“ von Igor Strawinski, das auch zu hören ist. Dessen Libretto (She She Pop tragen die Titel der musikalischen Sätze wie Nummerngirls über die Bühne) handelt von einem Opfer, das eine archaische Gesellschaft bringen muss.

Die Rede vom Opfer, von Verzicht und Hingabe, scheint beiden Generationen zunächst suspekt, persönliche Freiheit und weibliche Selbstermächtigung standen auch schon bei den Müttern höher im Kurs. Und doch hat eine ihren Beruf dem Wunsch nach Familie geopfert, eine andere die eigene Künstlerkarriere ihrem Mann zuliebe zurückgesteckt.

Diese biografischen Splitter, darunter auch Geschichten von Emanzipation und Erfolg, haben nichts Bekenntnishaftes. Die Performance von She She Pop und ihren Müttern findet eine gute Form, das Persönliche in einen weiter ausgreifenden Zusammenhang zu betten und aus einzelnen und durchaus unterschiedlichen Geschichten eine Erzählung von großem Wiedererkennungswert zu machen.

Das liegt auch an den Sätzen, die stets das Abweichende mitdenken lassen: „Einige von uns können feministische Blogs lesen und dabei schöne Unterwäsche tragen.“ „Einige von euch nehmen alles für selbstverständlich.“ „Einige von uns fragen sich, was passiert in einer Gesellschaft, in der niemand mehr ein Opfer bringen will.“

Der Generationenvertrag

Als She She Pop vor vier Jahren in „Testament“ mit ihren Vätern auftraten, kam diese persönliche Bearbeitung eines Generationenvertrags völlig überraschend und wurde zu einem viel getourten Erfolg der Gruppe. Natürlich knüpft das neue Stück daran an. Aber es ist weniger privat geworden, wirkt in der Reflexion der Beziehungen ausgereifter.

Es gibt nicht viele Künstlerkollektive, die mit dem Älterwerden besser werden, gerade weil sie den Blick auf ihre mit den Jahren veränderte oder eben auch beharrlich unveränderte Wahrnehmung richten. Plötzlich fühlt man sich äußerst gut aufgehoben bei She She Pop, die ihre Zuschauer längst nicht mehr in so ungemütliche Situationen bringen wie in ihrer stürmischen Jugend.

Oder gilt das nur für eine Zuschauergeneration, die alt genug ist, zu ahnen, dass gerade dann, wenn man alles richtig machen will, die Fehler passieren, über die die Nachwelt die Augen verdrehen wird? So beschreiben sich She She Pop in einem ihrer Sätze, den das Publikum dankbar belacht.

■  Wieder am 12. bis 14. April und am 10. bis 12. Juni im HAU 1