Des Richters Rechtsdiskurs

PROZESS Im langwierigen juristischen Streit um den umstrittenen Nazi-Vergleich eines Rechtsanwalts geht es auch um möglichen Rassismus in den Reihen der Gerichtsbarkeit

Anzunehmen, in der Justiz gebe es keinen „braunen Bodensatz“, sei ein „Denkfehler“, sagt Anwalt Jan Sürig

VON JAN ZIER

So ganz offen will Wolfgang Arenhövel nicht von „Rassismus“ sprechen. Immerhin ist er der Präsident des Oberlandesgerichts, immerhin richtet sich der Vorwurf gegen seinen mittlerweile pensionierten Richterkollegen Dieter Nordhausen, immerhin hat Arenhövel noch kein Urteil gefällt. Das kommt erst am Freitag. Er spricht also im Konjunktiv. Und gibt doch dem Verfahren eine ganz neue Wendung: Schließlich geht es darin um einen umstrittenen Nazi-Vergleich des Rechtsanwalts Jan Sürig.

Bald sechs Jahre ist es nun her, da hat der dem Richter Nordhausen vorgeworfen: „Sie vertreten Ansichten, die in diesem Staat zuletzt mit den Nürnberger Rassegesetzen vertreten worden sind.“ Sürig hatte damals einen Afrikaner vertreten, dem unmittelbar die Abschiebung drohte. Dieser war zuvor unrechtmäßigerweise verhaftet worden, während er in Abwesenheit seiner deutschen Freundin auf das gemeinsame Kind aufpasste. Im Zuge der gerichtlichen Anhörung entspann sich eine erregte Debatte, und irgendwie sah sich Richter Nordhausen zu dem Hinweis veranlasst, der Afrikaner habe seinen „prekären Aufenthaltsstatus“ ja gekannt, „als er das Kind zeugte“. Deshalb hätte er sich vorher eine Aufenthaltsgenehmigung besorgen sollen, müsse jetzt also damit leben, trotz des Kindes abgeschoben zu werden. Dann eskalierte das Gespräch, es folgte der Satz mit den Rassegesetzen.

Das Amtsgericht verurteilte den Anwalt deswegen 2006 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro. Das Landgericht sprach ihn drei Jahre später frei. Zwar habe sei der Richter „in erheblichem Maß diffamiert“ worden. Doch sei der NS-Vergleich gleichwohl „gerechtfertigt“ gewesen, weil er „in Wahrnehmung der Interessen“ des Mandanten gefallen sei. Vor dem Oberlandesgericht nun geht es um die Frage, ob der Beleidigungsprozess neu aufgerollt werden muss. Ein Ende wäre nicht abzusehen, dabei sei die Tat schon eine „verdammt lange Zeit“ her, so Arenhövel – und „irgendwann verliert ein Strafverfahren an Akzeptanz“.

Für ihn kommt es entscheidend darauf an, ob Nordhausens Worte rassistisch waren oder so verstanden werden könnten. Wenn ja, so Arenhövel, müsse man „großzügig“ sein bei der Frage, ob Sürig noch die Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann.

Sürig geht es aber um mehr: „Völlig unhinterfragt“ würde hierzulande unterstellt, dass Richter heutzutage nicht „rechts“ oder gar „rechtsextrem“ sein könnten. Dabei gebe es einen „braunen Bodensatz“ in der Bevölkerung, es sei ein „Denkfehler“, die Justiz da auszunehmen. Zehn Prozent der Bevölkerung hätten Studien zufolge ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Ob das auch für Nordhausen gilt? Das könne „nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen“ werden, findet Sürig. Nordhausen selbst sagt, er sei mehrfach mit „Vorwürfen aus dem Nazi-Bereich“ konfrontiert worden. Und er hat auch schon mal darauf geachtet, sagt Sürig, ob ein Rechtsbeistand „jüdischer Abstammung“ sei. 36 Jahre lang war Nordhausen Richter, bis zu 300 Abschiebehaftprozesse gingen pro Jahr über seinen Schreibtisch. Und nur dieses eine Mal hat er jemand aus dem Abschiebeknast geholt.