Der Platz ist leer, der Protest hält an

Oranienplatz ist geräumt

Für viele Flüchtlinge ist die Situation im Haus nun gefähr- licher als zuvor

Es ging dann doch schneller und verlief ruhiger, als viele erwartet hatten: Nach mehr als eineinhalb Jahren Besetzung und wochenlangen Verhandlungen zwischen Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Vertretern der Flüchtlinge wurden am Dienstag die Zelte auf dem Oranienplatz abgebaut. Dass das Ganze nicht eskalierte, lag vor allem daran, dass die Flüchtlinge selbst Hand anlegten – ob nun freiwillig oder nicht.

Nun kündigen Schilder auf dem Platz bereits an, dass bald Rasen ausgesät, die öffentliche Ordnung wieder hergestellt werden soll. Kreuzberg dulde keine neue Besetzung, hat Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann weiteren Umnutzungen einen Riegel vorgeschoben.

Die Asylproteste sind damit trotzdem nicht zu Ende. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen gibt es trotz der Unterbringung eines großen Teils der Flüchtlinge, die damit erst einmal befriedet scheinen, auch diejenigen, denen es nicht in erster Linie um individuelle Lösungen ging. Diese Gruppe ist vernetzt mit Flüchtlingen in anderen Bundesländern und anderen Ländern, sie hält fest an den großen politischen Forderungen wie der Abschaffung der Lager oder der vollständigen Abschaffung der Residenzpflicht. Sie haben einen Marsch nach Brüssel geplant, einige von ihnen sind bereits wieder im Hungerstreik.

Zum zweiten wird auch für viele derjenigen, die nun erst einmal ein Bett und eine Dusche haben, die durchatmen und Kraft tanken können, unweigerlich der Zeitpunkt kommen, an dem sie sich erneut vor große Probleme gestellt sehen. Denn auch für sie gibt es keine pauschale Lösung, kein generelles Bleiberecht. Wie „wohlwollend“ die Einzelfälle tatsächlich geprüft werden, wie lange die Menschen in den Heimen bleiben können, ist völlig unklar. Und diejenigen, deren Verfahren in anderen Bundesländern bereits abgelehnt wurden, haben kaum Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt. Das hat Kolat bereits klar gesagt. Es ist eine Frage der Zeit, bis die ersten abgeschoben werden.

Für viele dieser Flüchtlinge ist die Situation im Haus nun gefährlicher als zuvor auf dem Platz: Sie sind mit Namen und Status registriert, und im Gegensatz zu der Zeit auf dem Oranienplatz, wo sich immer ein Schlupfloch hätte ergeben können, hat die Polizei nun recht einfachen Zugriff auf sie.

Die radikalisierten Flüchtlinge protestieren bereits weiter. Und auch viele derjenigen, die derzeit durchatmen, werden wohl bald wieder guten Grund dazu haben. Leider. PATRICIA HECHT

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