Im Stereotypenzoo

Es gibt da diese wunderbare Stelle in Andreas Dresens Postwendefilm „Sommer vorm Balkon“. Die westdeutsche Protagonistin erinnert sich an eine gescheiterte Romanze sinngemäß so: „Und dann kam ich mit einem Ostdeutschen zusammen und hatte da leider keine Vorurteile.“

Natürlich – Vorurteile sind an und für sich nicht schön, sie können sogar lebensgefährlich werden. Aber was wären wir ohne sie, wenn wir in fremden Ländern fremde Menschen kennenlernen. Oder solche umgekehrt zu Besuch kommen. Über Klischees und Vorurteile – hinter denen sich allermeist ja auch ein Quäntchen Wahrheit verbirgt – kann man einander wunderbar kennenlernen. „Echt wahr, dass Deutsche zum Abendessen immer Schwarzbrot essen und Bier trinken?“, fragte neulich ein Franzose, dessen Deutschlandbild offensichtlich französischen Filmen entsprungen war. Schon ist man im Dialog – man kann erzählen, wie war das früher in der Kindheit, als es wirklich manchmal Schwarzbrot zum Abendessen gab, aber immer nur Pfefferminztee und niemals Bier. Und selbst? Morgens immer schön Baguette mit Marmelade in die Bol tunken oder was?

Es muss ja nicht bei solch drögen Klischees bleiben. Wenn zum Beispiel ein Grieche, wie neulich des nachts in einer Berliner Bar, fragt: „Is it true that Germans like nasty Sex“, dann kann man sich auch darauf verständigen, es einfach mal auszuprobieren.

Im Rahmen europäischer Alltagsvölkerverständigung muss man nicht immer über die Finanzkrise, den Euro, eine europäische Armee oder die Osterweiterung schwadronieren. Denn jeder hat in seinem Kopf schließlich einen kleinen Stereotypenzoo mit lustigen bunten Figürchen. Der Spanier hält stundenlang Siesta, der Rumäne ist ein naher Verwandter Draculas, der Deutsche brettert mit dem Mercedes über die Autobahn und trägt dazu eine Pickelhaube – bitte sehr.

So ganz ohne lustige Vorurteile müsste man sich am Ende über EU-Gurkennormen unterhalten. Puh. MARTIN REICHERT