Der Low-Budget-Mann

Stevie Schulze macht Videoclips für Bands, die kein Geld für dicke Produktionen in fernen Ländern haben. Gedreht wird in Schulzes Wohnung in Bremen und das Low-Budget-Prinzip funktioniert, weil das Netzwerk vor Ort stimmt. Jetzt hat es der Clip der „Trashmonkeys“ ins Programm von MTV geschafft

aus Bremen JENS FISCHER

So steht‘s auf Stevie Schulzes Website: „Im B-Movie-Segment sind wir zuhause. Das heißt: viel und groß – für wenig Geld.“ Und das heißt: Schulze musste jetzt umziehen. Er ist Produzent, Kameramann, Cutter, Regisseur, Ton- und Lichtmeister bei Musik-Clips, ein Allrounder in diesem Medium, das in der Grauzone zwischen Werbung und künstlerischer Ausdrucksform agiert – unter der Schirmherrschaft des inzwischen 25 Jahre müden Senders MTV.

Was das mit Umziehen zu tun hat? Zu Schulzes Kundenstamm gehören auch Künstler, die kaum einen Euro übrig haben, aber trotzdem an der Klangvisualisierung der Pop-Moderne teilhaben wollen, um ihre Website, PR-Präsentation, CDs oder Auftritte im Offenen Kanal aufzuwerten. Man fliegt also für Filmaufnahmen nicht in die Karibik, sondern macht Bremen zur Location; man dreht nicht in einem Studio, sondern bei Schulzes daheim. Die Wohnung wurde aus- und umgeräumt, bis jeder Winkel leer gefilmt war.

Umziehen also. Für neue Szenarien und Inspirationen. Was Gattin und Kamerafrau Julia Windhoff unter einer Bedingung akzeptierte: „Aus psychologischen Gründen durfte die neue Wohnung keinen Keller zum Zumüllen haben.“ Denn Schulze, Jahrgang 1969, deckt sich gern mit all dem Nippes ein, den er mal in einem Clip benutzen möchte. Leoparden-Kissen, venezianische Plastikgondel, Kopfskelett eines texanischen Longhorn-Rindes, kaputte Plattenspieler: Schulze hat’s.

Eine grelle Ästhetik disparater Fundstücke, ein Raubrittertum in allen Ecken der visuellen Kultur: Da fühlte der Filmemacher sich schon immer zuhause. Einst hat er T-Shirts bedruckt, später LP- und CD-Cover für das Bremer Weser-Label gestaltet, dann Websites, Flyer und Plakate entworfen.

Aber nicht nur. Nach dem Grafik-Design-Studium kreierte er auch Werbespots für die Sparkasse in Uelzen und den VW Touareg. „Aber mit den Auftraggebern war das alles so unlocker“, erinnert sich Schulze. Weiß aber, dass es mit den Musikanten auch nicht so locker ist. Plattenfirmen haben heute kaum Geld für Videos. Als Clip-Macher könne man nicht leben, hat Schulze ausgerechnet. Und nimmt daher auch Aufträge für Presskits an: Werbe-DVDs von Bands, die sich mit Livesequenzen, Fotos und Infos interessant machen.

Auftragsproduktionen. Und die Kunst? Anders als die Meister seines Fachs – Chris Cunningham, Spike Jonze, Michel Gondry, Hype Williams – will Schulze nicht durch den vertrackten Gebrauch der Zeichen komplexe Kunstwerke schaffen. Die wirkliche Kunst unseres Berufszweiges bestehe darin, sagt er, im Low-Budget-Bereich mit Filtern, überbordenden Ausstattungsdetails, frechen Effekten und überdrehten Farben das Mini-Budget zu vertuschen und dabei einen eigenen Stil zu kreieren. Nicht die Brillanz der Optik sei entscheidend, sondern der Spaß, der sich beim Gucken vermittele.

„Meine Voraussetzung für Low-Budget ist“, so Schulze, „dass ich schon lange in Bremen arbeite und dabei ein Netzwerk aufgebaut habe.“ Brauche er eine rote Strumpfhose, einen Rocker als Statisten, vier Rasenmäher oder einen Tanzsaal – er wisse, wen er anrufen müsse für eine kostenneutrale Lösung.

Für den Hauptauftraggeber, die Bremer Riffrock-Band „Trashmonkeys“, hat Schulze seit 2001 bereits fünf Videos und einen Kurzfilm gedreht. So wie sich das Quartett punk-ungestüm auf Sixtys-Rock’n’Roll bezieht, erinnert Schulzes Szenerie zum Song „Nobody“ an den Provokations-Jux der „Sex Pistols“, vor allem aber an einen Promo-Film der „Kinks“, der das soziale Elend eines englischen Arbeiterviertels einfängt.

Gedreht wurde „Nobody“ mal nicht bei Schulzes, sondern im versifften Fahrstuhl eines der schäbigsten Hochhäuser Bremens. Dort treffen die „Trashmonkeys“ eine Prostituierte, den Pizzaboten, einen arbeitslosen Proll … Aufmarsch der Nobodys. Was kostet so ein Clip? Nicht viel – dank der Anwohner, die keine Schadensersatzklage eingereicht haben. Obwohl stundenlang derselbe Song im Treppenhaus ertönte.

Die Darsteller waren die Musiker und ihre Freunde. Ums Styling kümmerte sich die Frau des Organisten, die fürs Fernsehen arbeitet und dort auch die Kostüme geliehen hat. Ein Hund wurde aus dem Freundeskreis geborgt und im Frisörladen knallpink eingefärbt. Das musste bezahlt werden. Hinzu kam noch Catering: ein paar Brötchen. Sowie die Miete für zwei DVD-Kameras für zwei Tage (320 Euro) plus SteadyCam (50 Euro pro Tag). Für den zweieinhalb-Minuten-Clip wurden 60 Minuten Material gedreht. Schulzes Arbeitszeit: 40 Stunden. Budget: 500 Euro. „Ich verdiene das“, erklärt er, „was vom Budget übrig bleibt.“

Solch ein kleiner, schmuddeliger Film widerspricht den heutigen Top-40-Clips. Dort scheint das Verhältnis von Musik und Bild nur noch eine Frage von Henne und Ei zu sein, da das akustische Produkt doch selten mehr ist als die optische Vermarktung. Sie reizt Aug’ und Ohr und Unterleib, aber nicht den Verstand. Schulze wehrt sich gegen das Verschwinden der Narration. Bei ihm heftet sich das Bild dem Klang an die Fersen und erzählt eine Geschichte.

Wie bei DJ Quicksilvers „Rising up“. Schulzes Bombast-Projekt: acht Drehorte, über 100 Statisten. Die Plattenfirma spendierte 5.000 Euro und Schulze entwickelte in grobkörnigem Schwarzweiß eine Fahrt ans Ende der Nacht: beginnend beim Design der Fassadenmenschen, hin zum Drauflosschwitzen in der Disco bis zur puren Reduktion auf reine Körperlichkeit bei einem Thaiboxkampf. Alle zwei Sekunden einen Schnitt, so will es das Genre. Und immer mittendrin, so wollte es die Plattenfirma, der DJ – als DJ, als Türsteher, Boxer, Taxifahrer. Ein stimmungsdichter Kurzfilm.

Clips sind meist Starvehikel, die an einer ästhetischen Überhöhung der Künstler arbeiten. Ohne sie wäre Frau Ciccone nie Madonna geworden, inszeniert als Virgin oder Material Girl. Auf dem B-Movie-Level funktioniert das etwas schlichter. Die Band „Pong“ wollte ihre Sängerin „sexy“ inszeniert sehen. Also lud Schulze sie in sein Badezimmer. Dort wurde im Haar gewuschelt, am Oberschenkel gefingert, Wasser ins Gesicht gespritzt.

Die „Trashmonkeys“ hingegen wurden in Schulzes Wohnzimmer mit einiger Selbstironie zu arschcoolen Typen hergerichtet. Für den aktuellen Song „No. 1“ verlangte nun die Plattenfirma mehr Rockposing. Schulze gehorchte. Mit Erfolg. Dieses ist der erste „Trashmonkeys“-Clip, der auch auf MTV Deutschland läuft. Nicht in der heavy Rotation, sondern nachts. Aber immerhin: sechs Mal wiederholt.

Plattenverkäufe bringe das wenig, weiß Schulze, aber Aufmerksamkeit. Habe die Band sonst 500 Besucher pro Tag auf ihrer Homepage, seien es nach einer solchen Ausstrahlung bis zu 3.000. Vielleicht klickt mancher kommende Popstar zu Stevie Schulze weiter. Der hat noch viele unentdeckte Ecken in der neuen Wohnung.