„Eine andere Perspektive“

Über die Inszenierung von Wirklichkeit in den Medien und die Zukunft des Zeitungspapiers nach Web 2.0, Podcasting und Weblogging: Der Bremer Medienwissenschaftler Andreas Hepp im Gespräch

INTERVIEW: KLAUS WOLSCHNER

taz: Wie lange wird es noch klassische Zeitungen wie die taz geben, die eine klare Richtung haben?Andreas Hepp: Auch in Zukunft wird es ein großes Maß an alternativem Journalismus geben. Sehen Sie die Blogger. Die zeigen, dass es bei Lesern eine große Nachfrage nach Informationen über besondere Dinge gibt – völlig abseits vom Fernsehen. Das ist eine Nachfrage nach der Tradition von Journalismus, für die die taz steht. Klar, mit dem Web 2.0 wird sich einiges wandeln.

Also Software-Angebote, bei denen sich die Nutzer selbst beteiligen, wie das Gästebuch.

Das ist die unterste Form, Wikipedia ist das Bekannteste. Blogging-Angebote gehören dazu.

Aber Web 2.0 ist nicht mehr papiergebunden. Entwickelt sich da eine Alternative zur Zeitung?

Das wird sich erst herausstellen. Zeitungen haben momentan den großen Vorteil, dass man sie zusammenknüllen und wegwerfen kann. In Ländern wie Japan gibt es heute schon eine größere Akzeptanz gegenüber digitalen Lesegeräten, in einer engen U-Bahn haben diese Lesegeräte auch einen klaren Vorteil. Für den Journalismus werden zwei Dinge wichtig sein: Gibt es irgendwann eine akzeptierte andere Form als das Papier, also Lesegeräte oder papierähnliche Displays? Die andere Frage ist: Wie gehen Zeitungen mit der zunehmenden Mobilität um? Die Süddeutsche Zeitung oder die Zeit experimentieren mit Podcasting, also vorgelesenen Zeitungstexten zum Herunterladen auf den MP3-Player. Da gibt es stabile Nutzergruppen, Leute, die Interesse an den Inhalten der Zeitung haben, aber weniger Gelegenheit, in Ruhe Zeitung zu lesen.

Das wäre dann etwas fürs Auto?

Klar.

Wirkliche Zeitungsliebhaber können nicht auf das Papier verzichten. Wäre es eine denkbare Alternative, dass die Zeitungsverlage die hohen Vertriebskosten sparen und man das gewünschte Lese-Menü vor dem Frühstück ausdruckt?

Jein. Man muss da in Generationen denken. Die jetzigen Papierliebhaber werden sich nicht mehr ändern. Viele von denen würden auch nicht den Drucker bedienen, sondern lieber nach der letzten ausgeteilten Zeitung gucken – egal was das kostet. Die jetzt 15- bis 30-Jährigen sind das kritische Publikum, weil sie von den Zeitungen noch nicht richtig gebunden worden sind. Sie könnten aber mit mit ihrem sozialen Aufstieg klassische Zeitungsliebhaber werden. Viele werden sich aber auch weiterhin stark übers Internet informieren. Für die könnte ein digitales Lesegerät eher ein Angebot sein als der Drucker. Wer will morgens früh vor dem Frühstück zehn Seiten Zeitung ausdrucken?

Unter den Printmedien hat die taz eine besondere Tradition, wollte ja am Anfang das Blatt für sonst unterdrückte oder unterbliebene Nachrichten sein.

Aber die taz hat sich geändert. Sie wurde zu einer Zeitung der links orientierten Gebildeten. Damit haben sich auch die Texte geändert. Was heute wenig interessiert, ist das vollkommen Andre. Was immer interessant ist, ist eine andere Perspektive auf Themen, die auch in anderen Medien die Aufmerksamkeit binden. Und Aufmerksamkeit wird vor allem durch herausragende Ereignisse generiert.

Wie werde ich denn zu einem solch herausragenden Ereignis? Indem ich ins Fernsehen komme?

Das Fernsehen ist das dominierende Leitmedium, klar. Was herausragt, ist aber immer relativ zum Kontext. Ein herausragendes Ereignis in Bezug auf die Gothic-Szene ist das jährliche Treffen in Leipzig, das dominiert die Szene-Kommunikation und schwappt an einem Tag über in taz, Spiegel und ähnliche Medien. Ein herausragendes Ereignis in Bremen kann im Nachbarort gerade einen Zweizeiler wert sein. Herausragende Ereignisse sind solche, die über verschiedene Medien und Genres hinweg Aufmerksamkeit binden. Zum Beispiel der Papst-Besuch.

Da gab es in unserer Rubrik „verboten“ den bösen Kommentar der Art: Da besucht ein alternder Sektenführer die Orte seiner Jugend und ihr macht eine Aufregung daraus. Weltereignisse sind die Ereignisse, die inszeniert werden, die taz spielt da inzwischen kräftig mit.

Es geht gar nicht anders. Immer mehr Prozesse unserer Kultur geschehen medienvermittelt. Sie erreichen Menschen nur über die Medien. Die Katholische Kirche inszeniert sich in mediatisierten Gesellschaften ganz erfolgreich, der Papst wurde in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem personalisierbaren Markenzeichen. Das funktioniert gut. Da hat die Katholische Kirche einen Vorteil gegenüber den Protestanten. Der Mediatisierung kann sich niemand entziehen.

Für die taz war das ein großer Sprung. Anfangs wollte sie über die Wirklichkeit so berichten, wie sie wirklich ist. Heute generiert sie Wirklichkeiten, die es sonst nicht gäbe.

Unsere Wirklichkeit entsteht kommunikativ, das war immer so. Was nun passiert ist, ist nur folgendes: Den Medien ist immer klarer geworden, dass sie Teil des Mediatisierungs-Spiels sind.

Der Anspruch, so zu berichten wie die Wirklichkeit tatsächlich ist, war ein Fetisch?

Das war naiv. Man ist Teil des Spiels und der journalistische Anspruch muss sein, selbstreflexiv und selbstkritisch damit umzugehen.

Bremen hat die Inszenierung mit seiner Marketing-Gesellschaft zum Programm gemacht: „Bremen neu erleben“.

Das Bremer Marketing hat eine Sache gut verstanden: Wir leben in einer Zeit der Eventisierung. Das hat mit der Informationsflut zu tun. Es gibt dutzende kulturelle Angebote. Es geht darum, wirklich wichtige Dinge medial zu kreieren, die Aufmerksamkeit zu konzentrieren.

Das Schwerpunkt-Konzept der taz auf den vorderen Seiten ist eine Form der Eventisierung: Nicht der Nachrichten-Überblick ist entscheidend, sondern die Produktion von Aufmerksamkeits-Schwerpunkten. Wäre das auch ein Konzept für den lokalen Bereich?

Da würde ich das nicht machen. Aber für die taz nord wäre das eine Überlegung. Als Leser der taz merke ich, dass ich bei manchen Themen auf den Nord-Seiten das Kontext-Wissen nicht habe. Wenn es deutlicher als Schwerpunkt markiert wäre, könnte man es vielleicht aufbereiten für jemanden, der mehr außen steht. Nicht funktionieren würde ein Konzept, das nur auf große Geschichten setzt, sechs große Geschichten. Ich will die kontinuierliche Information haben, aber Aufmerksamkeit schafft die vertiefte Geschichte. Egal aus welchem Themenbereich. Im Mantelteil der taz hat sich das gut entwickelt.