HANNOVERS VERFLUCHTESTE AMPEL

VON DIETRICH ZUR NEDDEN

Es regnete strippenweise, als ich neulich in Hannover auf meiner ferrari-roten Vespa 125 den Friedrichswall entlangknatterte, um rechts in die Willy-Brandt-Allee einzubiegen. Die Ampel leuchtete grellgelb, voller Wucht ins Orange. Bremsen? Auf die Gefahr hin, seitlings über den Asphalt zu rutschen? Oder doch dem Rot zum Trotz abbiegen, obgleich an genau derselben Stelle genau die gleiche Übertretung Frau Käßmann eine vorläufige Delle in ihre weltumspannende Karriere einbrachte? – ROT!!!

Achtsam nahm ich die verhängnisvolle Kurve und rollte von dannen. Im Gegensatz zum Popstar des Protestantismus überstand ich die impulsive, verkehrswidrige Wendung unversehrt. Einer Alkoholkontrolle wiederum hätte ich gelassen entgegengesehen. Kurzum: In diesem Fall hielt sich die Polizei zurück, was der Bild-Zeitung den Betrag ersparte, der für die Preisgabe jener Missetat zu entrichten gewesen sein dürfte. Wohlgemerkt, das Delikt einer ehemaligen Kolumnistin in dieser Dreckschleuder.

Wochen später querte mein Lebensweg buchstäblich den der „fidelen Sünderin“, wie sie die Süddeutsche Zeitung während des Kirchentages nannte. Nicht zum ersten Mal trabte sie samt Begleitung auf der gleichen Laufrunde um den Stadtsee wie ich. Vorausschickend lege ich eine Beichte ab. Für den Lockerungsparcours pflege ich Stift und Zettel einzustecken, um anfliegende, nun ja, nennen wir es wichtigtuerisch: Funken festzuhalten. Die allerdings hernach selten zünden, stattdessen meist zu Asche verglimmen.

Kurz nachdem ich die beiden überhole, möchte ich etwas notieren: Die Creperie am Südufer wirbt für „Anti-Depressions-Crepes“, solche mit Nutella oder Eierlikör. Eilig will ich den Zettel hervorziehen und das Stichwort hinkrakeln. Doch ich zaudere. Wird das Ego der Päpstin auf Abruf womöglich aus dem Anblick einer kritzelnden Jammergestalt den Schluss ziehen, es handele sich um einen Journalisten? Ich entsage dem Drang, anzuhalten. Wahrscheinlich deshalb prägen sich die gedopten Crepes umso fester ein. Und seien hiermit verputzt.

Holla! Erneut brummt die ferrari-rote Vespa in das beschauliche Flachland-Panorama. Wenig später nämlich, eines krisp durchsonnten Herbsttages, lud mich das Moped zu einem Ausflug in Richtung Nordwesten ein. Und zwar entsann ich mich einer zufälligen Entdeckung, die Büronachbar Böttcher beflügelt hatte. Seines Zeichens Geologe, kartiert er momentan die Böden in der Gegend um Osnabrück. Das heißt, er trägt in schwungvollen Linien Ar für Ar auf einer Karte ein, welche Horizonte das Bodenprofil offenbart. Aus diesem geologischen Fundus sog mein Katalog an Lieblingsvokabeln geradewegs den Plaggenesch ein, den ich nun wahrhaftig betasten wollte. Plaggenesch also, unterlagert von Pseudogley.

Da Sprache jedoch mitnichten in einzelnen Wörtern lebt, sondern in Sätzen oder Versen, war etwas zu schöpfen. Um eine Pointe ringend, proben wir diesen Zweizeiler: „Ein Plaggenesch grämte sich alldieweil / seine Frau ihm gestand, sie sei pseudogeil“. Pseudogley? Ach so.