Disneyland statt Alltagsleben

Ein Stadtteil nicht nur für gut verdienende Männer, sondern auch für Frauen und Kinder? Gender-Beraterin Gabriele Schambach hat das „unsichtbare Geschlecht“ der Hafencity untersucht

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Frau Schambach, Sie haben sich mit dem „unsichtbaren Geschlecht der Hafencity“ befasst. Was meinen Sie damit?

Gabriele Schambach: Ich habe drei Themen untersucht: Erwerbsarbeit, Wohnen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Hafencity GmbH schreibt, 67 Prozent der Fläche würden 40.000 Arbeitsplätze beherbergen – in den Bereichen Dienstleistungen, Handel, Hotel, Gastronomie, Freizeit und Kultur. Das kann man einerseits positiv deuten und sagen: Frauenerwerbstätigkeit nimmt generell zu – gerade im Dienstleistungssektor, den die Hafencity großteils bieten wird. Da Statistiken aber belegen, dass die Führungskräfte weiterhin meist männlich sind, bedeutet das, dass von den 40.000 Arbeitsplätzen die Mehrzahl minderqualifiziert sein werden. Im Einzelhandel etwa arbeiten überwiegend Verkäuferinnen. In der Gastronomie hauptsächlich Kellnerinnen. Die Hafencity wird also wohl viele schlecht qualifizierte, minderbezahlte Arbeitsplätze bieten, die traditionell meist von Frauen ausgefüllt werden.

Sprechen wir über das Wohnen in der Hafencity.

33 Prozent der Fläche sollen dem Wohnen dienen, und hier zeigt sich deutlich: Das erste Ein- oder Ausschlusskriterium ist das Geld. Es soll zwar auch genossenschaftliches Wohnen mit moderaten Mietpreisen geben. Dem gegenüber stehen aber Luxuswohnungen, die für 5.000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden sollen. Das alles zielt auf einen gehobenen Lebensstandard. Wenn man den Arbeitsmarkt betrachtet, werden es aber wohl eher gut verdienende Männer sein, die sich leisten können, hier herzuziehen. Die Frauen werden wohl in der Minderheit sein.

Außerdem soll es in der Hafencity Seniorenwohnungen geben. Auch für Frauen?

Auch hier geht es um das Thema Geld. Am Dalmannkai sollen Zwei- bis Drei-Zimmer-Wohnungen entstehen. Die Statistik zeigt aber, dass RentnerInnen meist allein lebende Frauen sind. Die älteren Menschen, die in der Hafencity wohnen werden, werden aber vermutlich Paare sein. Fitte Senioren. Ein-Zimmer-Wohnungen oder Wohnungen für Pflegebedürftige werden dort nicht gebaut. Der Großteil der SeniorInnen – allein stehende Frauen mit geringer Rente – wird sich diese Wohnform nicht leisten können.

Wie steht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?

Hierzu gibt es ein Forschungsprojekt, das die Hafencity GmbH mit der Hafencity-Uni und einer Unternehmensberatung durchführt. Sie haben einen Bedarf von 400 Kita-Plätzen ermittelt. Es soll eine dreizügige Grundschule und einer vierzügige weiterführende Schule geben. Insgesamt können also 1.000 Kinder in diesem Gebiet betreut werden. Daraus ergibt sich Folgendes: Wenn man angesichts der geplanten 40.000 Arbeitsplätze von einer 50-prozentigen Frauenerwerbsquote ausgeht, macht das rund 20.000 Frauen. Von den 12.000 Menschen, die dort wohnen werden, wären zirka 6.000 Frauen. Macht insgesamt 26.000 Frauen in der Hafencity. Dem stehen Einrichtungen für 1.000 Kinder gegenüber.

Ihr Fazit? Wird die Hafencity frauenfreundlich oder eine Mogelpackung?

Wenn man fragt, ob die Hafencity ein Stadtteil für Frauen, Männer und Kinder ist, muss man das zunächst bejahen. Aber eben nicht für alle. Das Konzept schließt sowohl Männer als auch Frauen aus, die wenig Geld haben. Dieser Stadtteil ist also für bestimmte Leute gedacht. Abgesehen davon wird es wohl kein Stadtteil sein, in dem Alltag entsteht. Denn stellen Sie sich vor, Sie haben im Überseequartier jeden Tag 40.000 Besucher, pro Jahr zehn Millionen, wie die Hafencity GmbH es schätzt. Da wird Alltagsleben kaum möglich sein. Eher ein bisschen Disney-Land.