„Der alltägliche Wahnsinn“

FACHTAG 130 ExpertInnen versuchen, sich zu vernetzen, um Kindern süchtiger Eltern zu helfen

■ Mitiinitiatorin des Fachtags, ist Diplom-Psychologin und als Sozialpädagogin bei dem Verein „Come back“ engagiert, der Drogenabhängige betreut

taz: Frau Fischer, Kinder süchtiger Eltern sind ihrerseits die größte Suchtrisikogruppe. Wird das bei der Prävention ausreichend berücksichtigt?

Dagmar Fischer: Nein. Gerade ältere Kinder von suchtmittelabhängigen Eltern sind oft sehr unauffällig, geradezu überangepasst. Sie neigen dazu, ihre Familien zu schützen und tun viel, um Missstände zu Hause zu vertuschen. Auf unserem Fachtag sollen sich VertreterInnen verschiedener Berufsgruppe wie Lehrerinnen, Kita-Erzieherer, Polizisten, Ärzte und Familienhebammen darüber austauschen, wie man das genauere Hingucken lernen kann.

Der Titel des Fachtag heißt „Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein!“. Das klingt nach einem spielerischen Zugang.

Den wollen wir auch. Nach dem Prinzip des „Open Space“ bilden wir Arbeitsgruppen nach den Bedürfnissen der Teilnehmenden. Für ErzieherInnen beispielsweise ist es sehr schwierig, Eltern anzusprechen, bei denen man einen Suchtverdacht hat. So etwas aufzudecken, kann ziemliche Probleme mit sich bringen – auch, wenn man sich getäuscht hat. Über solche Themen und Tabuisierungen muss man sich also dringend austauschen. Der Fachtag soll ein Auftakt zu einer umfassenderen Vernetzung sein. Es ist auch allein schon wichtig, zu den Telefonnummern von Beratungseinrichtungen die dazugehörigen Gesichter kennen zu lernen.

Ihnen geht es nicht nur um drogen-, sondern allgemein um suchtmittelabhängige Eltern. In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es derzeit aber fast so etwas wie einen Heroin-Hype. Ist das angemessen?

Der Fall Kevin ist wie ein Trauma auf Bremen herunter geprasselt, dadurch geraten Themen wie Alkohol- und Spielsucht von Eltern etwas in den Hintergrund. Dabei ist es wichtig, den ganzen normalen, alltäglichen Wahnsinn im Blick zu behalten – und natürlich die Kinder. Hinter der Not der suchtkranken Eltern verschwindet häufig die der Kinder.

Interview: HENNING BLEYL

Fachtag: ab 8.30 Uhr im Speicher XI/Roter Saal