Hertha steht unter Respekt-Schock

Am Samstag verlor der bisherige Tabellenführer Hertha BSC klar gegen den weit überlegenen Kontrahenten Bayern München. Die Defensive der Berliner versagte vollständig, und am Ende hätten es auch noch ein paar Treffer mehr sein können. Doch München schaltete in den Energiesparmodus

Kevin Boateng hatte es eilig nach dem Schlusspfiff. Während sich Jungnationalspieler und Bundesligapremieren-Torschütze Malik Fathi erst mal gefrustet auf dem Hosenboden niederließ, stand die Nummer 17 der Hertha schon beim Trikottausch. Lukas Podolski hatte sich Boateng ausgeguckt, den potenziellen Shooting-Star-Kollegen vom FC Bayern.

In der Bild-Zeitung konnte man noch den kessen Spruch des Herthaners lesen: „Ich würde nie zu Bayern gehen.“ Und in kleinerer Schrift darunter: „Bayern ist alles andere als mein Lieblingsverein. Ich mag sie gar nicht. Das Umfeld, die Mentalität, das passt mir nicht. Dass Podolski so jung dann auch zu Bayern geht: verstehe ich nicht.“ Nach dem 4:2 des Meisters gegen den Intermezzo-Tabellenführer Hertha waren die Berührungsängste des Mannes aus dem Wedding verflogen: Es sah eher nach Verbrüderung aus.

So war das auch in der ersten Halbzeit. Wie schockgefroren verfolgte die Hertha-Defensive das kreative Stürmerchaos der Münchner. Nur die vor Bewunderung offenstehenden Münder haben noch gefehlt. Geradezu andächtig wohnten van Burik, Simunic und Kollegen den verwirrenden Bayern-Rochaden bei: Aus dem Mittelfeld schickt Podolski Makaay das 1:0, Minute 7; acht Minuten später dribbelt sich Pizarro bis zur Grundlinie durch, passt flach und präzise in die Mitte 2:0, Sagnol; kurz nach der Pause steht Pizarro mitten im Sechzehner so frei, dass er sich auch noch mal die Schuhe hätte schnüren können, 3:0, Minute 54. Und es hätten auch noch zwei, drei Treffer mehr sein können. Keeper Fiedler fasst zusammen: „Das war ’ne schöne Lehrstunde. Schon gut anzusehen, wie die uns auseinandergespielt haben.“

Falko Götz, der zuvor am Spielfeldrand durch eine erstaunliche Vielfalt an Armbewegungen aufgefallen war, sah das ähnlich: „Das haben wir uns ein bisschen anders vorgestellt. Wir haben es in der ersten Halbzeit nicht geschafft, unseren Respekt abzulegen, und sind mit den vielen Positionswechseln der Bayern nicht klargekommen. Da wusste ich schon, dass das ein ordentlicher Hieb wird.“

Doch Mitte der zweiten Hälfte schalteten die Bayern angesichts der bevorstehenden Englischen Wochen auf Energiesparmodus – und so stand es nach dem Kopfball von Fathi (nach Ecke des eingewechselten Okoronko) und dem mächtigen Schuss von Torjäger Pantelic (nach feinem Pass des stärker werdenden Boateng) nur noch 2:3. Es waren die ersten Hertha-Treffer gegen Bayern seit 405 Minuten. Mehr war aber nicht mehr drin: Ein perfekter Konter über Makaay und Sagnol bescherte Podolski endlich sein erstes Bundesligator für die Münchner. Man schrieb die 78. Minute, der Ball war laut Anzeigetafel 75,7 Stundenkilometer schnell, mit links ins rechte Eck, man hörte die von Podolskis Seele purzelnden Felsbrocken beinahe bis hinauf auf die Tribüne.

Die Berliner hatten sich danach schnell mit der Niederlage abgefunden. Kapitän Arne Friedrich: „In der ersten Halbzeit war das schon ein Klassenunterschied, da sind wir nicht in die Zweikämpfe gekommen. Aber wir sind eine junge Mannschaft und können noch viel lernen. Und wir haben immer gesagt, dass wir uns nicht als Tabellenführer sehen. Jetzt müssen wir darauf bauen, dass Bastürk und Gilberto schnell wieder zurückkommen.“ Ganz ohne Beute ist aber auch er nicht nach Hause gefahren: Er sicherte sich nach dem Schlusspfiff das Leibchen von seinem Nationalmannschaftskumpel Philipp Lahm. Über einen Wechsel zum FC Bayern haben sie angeblich nicht gesprochen. Thomas Becker