dick gaughan – eine lobhudelei von RALF SOTSCHECK
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Auf den Abend habe ich lange gewartet. Dick Gaughan tritt endlich wieder in Dublin auf. Der schottische Folksänger ist zweifellos der größte Musiker Europas – gesegnet mit einer Stimme, die einem die Nackenhaare hochbiegt. Der Auftrittsort ist passend: Whelan’s, ein Club in der Innenstadt, ist gemütlich, klein und übersichtlich, auch wenn Gaughan einen Gig im 80.000 Zuschauer fassenden Stadion Croke Park verdient hätte. Aber in Whelan’s ist man nirgendwo mehr als zehn Meter von der Bühne entfernt.

Wir sind vorigen Mittwoch die Ersten, um einen guten Platz zu ergattern. Die Organisatoren haben den Zuschauerraum mit Tischen und Stühlen versehen. Offensichtlich rechnen sie nicht mit vielen Besuchern, denn normalerweise gibt es bei Whelan’s nur Stehplätze. Oder sie befürchten, dass das Publikum, das nicht mehr das jüngste ist, vom langen Stehen Thrombosen bekommen und umkippen könnte.

Ich habe Dick Gaughan zum ersten Mal 1974 bei einem Folkfestival im westschottischen Irvine getroffen. Damals hatte ich noch nie etwas von ihm gehört. Er saß zufällig an meinem Kneipentisch, ich erzählte, dass ich nach Irland wollte, und er kramte eine Landkarte heraus. Zwischendurch entschuldigte er sich, weil er „kurz auf die Bühne“ müsse, und seitdem bin ich Fan. Später zeichnete er in die Karte die Orte an der irischen Westküste ein, wo es die beste Musik gab. Ich folgte seinem Rat, lernte dort eine Irin kennen und bin seitdem verheiratet. „Das kannst du mir nicht vorwerfen“, meint Gaughan, als ich es ihm erzähle.

Er wundert sich über unser frühes Erscheinen. „Ich bin selbst eben erst eingetroffen“, sagt er. „Es dauert mindestens anderthalb Stunden, bis es losgeht. Warum geht ihr nicht noch ein Bier trinken?“ An den Club ist eine Kneipe angeschlossen, die man durch eine Tür neben der Bühne erreicht. Zur Sicherheit lassen wir unsere Jacken auf den Stühlen, um die Plätze zu besetzen. Nach jedem Bier kontrollieren wir die Besucherzahl.

Um halb neun ist noch keine Menschenseele zu sehen. Um neun ist der Laden voll. Wir wollen geschwind zu unseren Sitzen, aber der „Techniker für Massenkontrolle“, wie die Türdrachen offiziell heißen, verwehrt uns den Zutritt. „Das ist nicht der Eingang“, behauptet er. „Der ist in der Seitenstraße. Wo sind überhaupt eure Tickets?“ Die seien in der Jacke, erkläre ich, und die liege auf einem Stuhl vor der Bühne. Er entgegnet: „Wie kann sie da liegen, wenn ihr hier seid?“ Nach meinem kleinen Wutanfall lässt er mich zu meiner Jacke, die von einem älteren Ehepaar, das zufrieden auf unseren Stühlen sitzt, auf den Fußboden geworfen worden ist.

Weil ich ihn angemaunzt habe, verbietet mir Herr Wichtig, einen Stuhl aus der Kneipe mitzunehmen, was anderen Zuschauern gestattet ist.

Das Konzert entschädigt für zwei Stunden Stehen.

Gaughan singt seine alten Lieder vom Kampf der Landarbeiter, der Arbeitslosen, der Outlaws, und er ist dabei nicht biermännisch verbissen, sondern intelligent und witzig. Zum Schluss trägt er „Waist Deep In The Big Muddy“ vor, Pete Seegers Klassiker über die Schwierigkeit der USA, sich glimpflich aus dem Vietnamkrieg zu verabschieden. Irgendwie aktuell, das Lied.