Wie Weihnachten

FAZIT Auf dem taz.lab wurde erfolgreich für ein offenes und friedliches Europa gestritten. Es gab nur einen kleinen Aufreger

VON SVENJA BEDNARCZYK
UND ERIK PETER

„I Love EU“ – unter diesem Motto standen die Veranstaltungen, aus denen die gut 2.000 Besucher des taz.lab 2014 in Berlin wählen konnten. Im Haus der Kulturen der Welt unweit des Kanzleramts ging es nicht nur um Liebeserklärungen an Europa. Gemäß dem Untertitel „Solidarität ist machbar“ setzten sich viele Panels kritisch mit Europa und der EU auseinander. Es ging etwa um die Asylpolitik der EU und den „Blutzoll“, den diese für den Schutz ihrer Außengrenzen in Kauf nimmt. Auf dem Podium diskutierten Mitglieder verschiedener Initiativen, die sich für die Rechte von Geflüchteten einsetzen.

Moderator Christian Jacob entschuldigte sich zu Beginn der Veranstaltung für die sehr homogene Diskussionsrunde. Man habe auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex und andere Befürworter der europäischen Linie angefragt. „Die wollten aber nicht kommen.“

Weitere Themen auf dem taz.lab 2014 waren Protestformen und Widerstand im Internet, Veganismus und Tierrechte oder die politische Lage in den EU-Nachbarstaaten Ukraine und Türkei. taz-Redakteur Deniz Yücel stellte im Gespräch mit taz.lab-Kurator Jan Feddersen sein Buch „Taksim ist überall“ vor. 2013 erlebte er die Proteste in Istanbul mit. In seinem Buch liefert er eine Analyse der gesellschaftlichen Lage in der Türkei. Alle Veranstaltungen standen unter der großen Frage nach einer europäischen Erzählung. Die Vision von einem Europa des „Friedens, der Freiheit, der Demokratie und eines guten Lebens“ wurde unterfüttert mit Fragen nach dem Ausweg aus der Krise und ob Länder wie Griechenland die Währungsunion verlassen sollten.

Der Pöbelfaktor

Dennoch: Das Publikum war nicht auf das taz.lab gekommen, um sich von ExpertInnen die Welt erklären zu lassen. Ob die Grüne Ska Keller vom Ende der Religion sprach oder der Autor Andreas Altmann industrielle Lebensmittel mit Genuss gleichsetzte, stets fanden sich Zuschauer, die spontan reagierten. Bald rumorte es zustimmend oder ablehnend – meist in den hinteren Reihen. Richtig ausfallend wurde dabei niemand. Ein Eklat blieb aus, doch bei einer Veranstaltung war Streit vorprogrammiert: Mit Roger Köppel hatte sich das taz.lab einen Löwen in den Streichelzoo geladen. Der Herausgeber des rechten Schweizer Wochenmagazins Weltwoche war angetreten, um eine Gefahr durch Rechtspopulisten zu negieren und die Schweizer Voten gegen Freizügigkeit und für ein Minarett-Verbot zu verteidigen.

Bei Letzterem erntete er nicht nur von seinen Gesprächspartnern Gregor Gysi und Alexander Graf Lambsdorff, sondern vor allem vom Publikum lautstarken Widerspruch. „Danke für die Freude an der Meinungsvielfalt. Sorry, dass ich den Gottesdienst etwas störe“, sagte Köppel dazu.

Auch seine Verteidigung eines Roma-feindlichen Titelbildes in seinem Blatt kam schlecht an. Doch Köppel beharrte auf der Auseinandersetzung: „Lehnen Sie das Cover ab, werfen Sie mit Gegenständen nach mir, aber nehmen Sie dieses Thema an“, sagte er. Das führte zu ganz neuen Konstellationen. „Wir geben uns hier bedenklich oft recht, Herr Gysi“, fand Graf Lambsdorff.

Der Kuschelfaktor

„Das taz.lab ist wie Weihnachten, einmal im Jahr gehen wir da hin“, sagte ein taz-Genosse. „Sowohl die Themensetzung als auch das Aufgebot an Referenten ist beeindruckend“, fand Besucher Jürgen Bruchhaus. Für viele war genau das ein wichtiger Teil des Kongresses: Die Promis standen nicht nur auf der Bühne, man konnte ihnen auch im Foyer begegnen.

Bekannte Gesichter gab es viele: Gregor Gysi, Adrienne Goehler oder Christian Felber. Die Meinungen zum Motto „I Love EU“ gingen weit auseinander. „Ich bin nicht wegen, sondern trotz des Themas gekommen“, sagte Teilnehmerin Irmgard Jochum. Die Veranstaltungen seien gut bis sehr gut, doch der Titel allein habe sie nicht hergezogen. Es gab aber auch andere Stimmen: „Das Thema war gut, aktueller geht’s überhaupt nicht. Vor allem mit dem Bezug zur Türkei, zur Ukraine oder den Roma“, fand Besucher Michael Schwind.

Der Promifaktor

Auch die feinen Künste hatten ihren Platz auf dem taz.lab: Am Nachmittag versteigerte Christian Specht, seines Zeichens Politaktivist und Kampagnenmacher der linken Szene, einige seiner Gemälde. Vielen taz-LeserInnen sind diese gesellschaftskritischen Werke als wöchentlich erscheinender „Specht der Woche“ bekannt. Auf dem diesjährigen Kongress eröffnete Specht seine erste Ausstellung mit anschließender Auktion.

Der Andrang war groß, und so mancher Interessent ging leer aus. Besonders umkämpft war das Bild „Pussy Riot“, das für sensationelle 35 Euro unter den Hammer kam. Doch auch das Exemplar „Bärtiger Mann mit Bügeleisen“ sorgte für Aufsehen. Dieser Klassiker der Specht’schen Kunst zeigt den taz-Autor Deniz Yücel, der beim taz.lab 2013 mit dem Ausruf „Geh bügeln!“ für Aufsehen sorgte. Doris Akrap leitete die Auktion. Sie war mit der Veranstaltung mehr als zufrieden: „Wir sollten überlegen, sie für 2015 ins Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt zu verlegen.“ Specht erstand mit seinen Gemälden 207 Euro. Die Hälfte will er dem Berliner Theater Thikwa spenden.