Ivorische Stunde der Wahrheit

ELFENBEINKÜSTE Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl müssen Staatschef Gbagbo und Oppositionsführer Ouattara wohl in die Stichwahl

In Abidjan ist die Armee massiv ausgerückt, um die Bevölkerung „zu beruhigen“. Die Wirkung ist das Gegenteil. Eine erneute Polarisierung des Landes steht bevor

VON DOMINIC JOHNSON

Die erste freie Präsidentschaftswahl in der Geschichte der Elfenbeinküste hat keinen klaren Sieger hervorgebracht. Nach Auszählung von etwas über der Hälfte der Stimmen des Urnengangs vom Sonntag lag am gestrigen Mittwoch der amtierende Präsident Laurent Gbagbo mit 36,6 Prozent leicht vorn, gefolgt von Oppositionsführer Alassane Ouattara mit 33,8 Prozent. Besonders viel dürfte sich an diesem Verhältnis nicht mehr ändern, da einige der Hochburgen beider Politiker noch nicht fertig ausgezählt sind – die Wahlzettel werden sowohl elektronisch erfasst als auch mit der Hand gezählt, und die Ergebnisse jedes Wahllokals werden sorgfältig überprüft. Nach ivorischen Berichten rechnen Gbagbos Minister mit einem Ergebnis von 43 bis 47 Prozent für den Präsidenten.

Die Entscheidung zwischen den beiden profiliertesten Politikern des Landes fällt damit voraussichtlich am 28. November in einer Stichwahl. Anstelle der erhofften Versöhnung der Elfenbeinküste, die seit Ausbruch einer Militärrevolte gegen Gbagbo 2002 in einen von Rebellen kontrollierten Norden und den von Gbagbo kontrollierten Süden gespalten war, steht damit eine erneute Polarisierung bevor. Ouattara, in den 1990er Jahren liberaler Premierminister, gilt als politischer Kopf hinter der nordivorischen Rebellion mit ihren engen Beziehungen zu Burkina Faso und Mali; bei früheren Wahlen durfte er wegen seiner angeblich burkinischen Abstammung nicht antreten. Gbagbos Anhänger sehen sich als Vertreter der wahrhaft einheimischen ivorischen Bevölkerung im Süden. Die bisherigen Wahlergebnisse deuten auf eine klare Nord-Süd-Spaltung zwischen Ouattara und Gbagbo hin.

In Abidjan, der einstigen Hauptstadt im Süden des Landes, ist die Armee massiv ausgerückt, um die Bevölkerung „zu beruhigen“, wie Armeechef Mangou am späten Dienstag im Staatsfernsehen mitteilte. Die Wirkung war das Gegenteil: Zahlreiche Bewohner Abidjans bleiben seitdem zu Hause, viele Büros und Märkte sind geschlossen. Regierung, Wahlkommission, Armeeführung und religiöse Führer rufen so oft und penetrant zu Ruhe und Geduld auf, dass viele Ivorer misstrauisch werden. Abidjan ist die einzige Stadt des Landes, in der sowohl Gbagbo als auch Ouattara sowie der drittplatzierte Henri Konan Bédié stark sind.

Die Haltung Bédiés, der schon einmal von 1993 bis 1999 Präsident war, wird über den Ausgang einer Stichwahl entscheiden. Er kommt nach bisherigem Stand auf 26,9 Prozent. Bédié und Ouattara haben miteinander vereinbart, sich im Falle einer Stichwahl gegenseitig gegen Gbagbo zu unterstützen.

Einiges deutet darauf hin, dass manche Radikalen im Gbagbo-Lager eine Wahlniederlage nicht akzeptieren würden. „Wir gewinnen – oder wir gewinnen“ war die Wahlkampfparole der Gbagbo-Anhänger in den letzten Tagen vor der Wahl. Gemeint war: Der Sieg kommt entweder durch die Wahlurne oder auf der Straße. In ivorischen Internetdiskussionen kursieren ethnische Stereotype und versteckte Aufrufe zur Gewalt. „Die Schlange ist noch nicht tot, lasst den Stock nicht sinken“, schreibt ein Gbagbo-treuer Kommentator.