„Stütze des Regimes“

ZEITGESCHICHTE Historiker beleuchtet in neuem Buch die Rolle der Hamburger Polizei im Dritten Reich

■ 61, Historiker, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

taz: Herr Diercks, war Hamburgs Polizei besonders früh ins NS-Regime involviert?

Herbert Diercks: Der ideologische Boden war jedenfalls bereitet. Die große Hamburger Polizei ist ja hervorgegangen aus der nach dem Ersten Weltkrieg aufgelösten Reichswehr. Darunter waren viele kaisertreue, republikfeindliche Kräfte – besonders unter den Oberbeamten.

Woraus schließen Sie das?

Daraus, dass die Hamburger Polizei-Offiziere schon 1932 eine eigene NSDAP-Ortsgruppe bildeten. Das war ein deutliches Zeichen angesichts der Tatsache, dass der zuständige Senator Sozialdemokrat und der Polizeipräsident ein Liberaler war.

Wie stark war die Polizei nach 1933 am NS-Regime beteiligt?

Die Polizei war eine wesentliche Stütze des Regimes: Die Gestapo, verfolgte zunächst politische Gegner, dann Zeugen Jehovas und die jüdische Bevölkerung. Die Kriminalpolizei war für die Verfolgung von Homosexuellen, Roma und Sinti und die „vorbeugende Verbrechensbekämpfung“ zuständig. Und die Schutzpolizei bewachte Deportationstransporte.

Wurden Polizisten ab 1933 zum Parteieintritt gezwungen?

Nein, und etliche waren nie in der NSDAP. Das sagt aber nichts über ihr Verhalten aus. Auch Polizisten, die nicht in der Partei waren, waren an Kriegsverbrechen beteiligt – einschließlich der Gewaltverbrechen im besetzten Polen und in der Ukraine.

Ist die Mittäterschaft der Polizei je geahndet worden?

Es hat nach 1945 einzelne Prozesse gegen Gestapo-Angehörige gegeben. Die Kriminalpolizei dagegen hat behauptet, sie habe nur Verbrechen bekämpft – und ist relativ wenig belangt worden. Zu den Einsätzen Hamburger Polizeieinheiten in Polen und der Ukraine gab es in den 1960er-Jahren allerdings Ermittlungen und einzelne Verurteilungen.

Und die vielen anderen?

Kurz nach 1945 haben die Briten, die Hamburg besetzten, eine Entnazifizierung versucht. Später ist das aber aufgeweicht worden.

Auf welcher Rechtsgrundlage?

Aufgrund des Gesetzes zum Berufsbeamtentum, dem zufolge jeder nicht verurteilte Polizist ein Rückkehrrecht hat. So sind in den 1950er-Jahren viele Polizisten, die in der NS-Zeit aktiv waren, wieder in den öffentlichen Dienst gekommen. Auch einstige Gestapo-Beamte.  INTERVIEW: PS

Vorstellung des Buchs „Polizei, Verfolgung und Gesellschaft im Nationalsozialismus“ mit Aufsätzen von Herbert Diercks und anderen: 20 Uhr, Buchladen Osterstraße (Osterstr. 171). Anmeldung erbeten unter ☎ 491 95 60