Niemand bleibt im Regen stehen

ERZÄHLFESTIVAL Zum vierten Mal werden in Gröpelingen internationale Geschichten erzählt – in Zelten, Ställen, Waschsalons und Gotteshäusern. Das Oberthema: Rettung

findet am Sonntag von 15 bis 18 Uhr in der Lindenhofstraße statt.

■ Danach gibt es einen Umzug an die Waterfront und ein Feuerwerk.

■ Die „Lange Nacht des Erzählens“ im Lichthaus am heutigen Samstagabend ist bereits ausverkauft!

INTERVIEW Andreas Schnell

taz: Das internationale Erzählfestival „Feuerspuren“ geht in die vierte Runde. Was gibt es dieses Jahr Neues?

Christiane Gartner (Projektleitung): Dieses Jahr wird das Programmheft auf Deutsch, Englisch und Türkisch eingeleitet, und zu den Erzählstationen gibt es den Programmtext neben Deutsch auch immer in der Sprache, in der erzählt wird.

Julia Klein, künstlerische Leitung: Das zeigt: Es wird in verschiedenen Sprachen erzählt, aber so, dass jeder etwas versteht. Wenn jemand kein Türkisch versteht und zu einer türkischen Erzählung geht, ist so viel Deutsch dabei, dass er oder sie folgen kann. Wer nur Türkisch kann, aber kein Deutsch, versteht es auch. Und wer beides versteht, hat nicht nur eine Übersetzung, sondern am meisten davon. Und Erzählen funktioniert ja auch über Mimik und Körpersprache.

Gartner: An 16 Erzählstationen finden im Laufe des Nachmittags vier 20-minütige Erzähl-Sets statt. Man hat also viermal die Chance auf eine 20-minütige Erzählung. Und auch auf der Straße ist immer was los.

Klein: Wichtig ist, dass die Geschichte mit der erzählenden Person und dem Ort verbunden ist. Es ist eine ganz eigene Atmosphäre, wenn der Erzähler in einer Jurte am Feuer sitzt. Dann gehst du in den Waschsalon, wo nebenher gewaschen wird, danach vielleicht in die Moschee oder in einen Stall.

Die Geschichten, die im Waschsalon erzählt werden, haben dann mit Wäsche zu tun?

Gartner: Nein, so direkt nicht.

Klein: Wobei ich letztes Jahr im Waschsalon darüber aufgeklärt habe, was es mit den immer fehlenden zweiten Socken auf sich hat. Wir versuchen, das in Einklang zu bringen. Es gibt ein Oberthema, das ist dieses Jahr „Rettung“. Daran arbeiten wir seit Januar in Erzählertreffen und Workshops. Viele der Geschichten haben mit Rettung zu tun: Von Tieren, die aus der Hühnerfabrik gerettet werden, über Rettung aus Seenot bis zur Rettung eines verlorenen Liebesbriefs oder der Stille.

Warum Rettung?

Gartner: Gröpelingen steht ein bisschen in dem Ruf, dem Untergang geweiht zu sein. Wir behaupten aber, dass es in Gröpelingen extrem viele Menschen gibt, die Strategien entwickeln, sich jeden Tag zu retten und darauf zu achten, dass das Leben lebenswert bleibt, auch wenn die materielle Situation nicht so gut ist. Das heißt nicht, dass sich jede Geschichte auf das Thema beziehen muss. Wir brauchen aber einen Leitfaden. Das professionalisiert auch die Erzähler, wenn sie langfristig zu einem Thema arbeiten.

Wird bei den Feuerspuren nur erzählt?

Gartner: Nein, es gibt zum Beispiel ein Archiv der Sprachen, die in Gröpelingen gesprochen werden. Auf vier Bühnen gibt es Feuershows, danach beginnt das nächste Erzähl-Set. Wenn es einem nicht gelingt, einen Platz zu ergattern, stehen da Erzähler unterm Schirm und erzählen auf der Straße Miniaturen. Außerdem ist auf der Straße dieses Jahr die „Reisende Sommerrepublik“ unterwegs, die in mehreren Sprachen den „Trip To A Forgotten Utopia“ erzählen. Niemand bleibt im Regen stehen.