Das Private in die Zange genommen

KOMÖDIE Macht viel zu wenig aus seiner anspielungsreichen Vorlage: Das Erfolgsstück „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke im Renaissance-Theater

Zu wenig Entwicklung ist den vier Figuren gestattet, zu sehr rattern sie in Betriebstemperatur durch den Text

Es ist ein Moment von schöner Skurrilität, wenn Magdalena, die zierliche Tiertherapeutin, der großen und starken Hannah erzählt, dass sie, um ihrem Mann Roman nahe zu sein, manchmal in die Rolle der aufblasbaren Gummipuppe schlüpfe, die Roman beim Sex heimlich bevorzuge. Judith Rosmair als Magdalena mimt dabei sehr lebensnah das Aufgeblasenwerden und In-sich-Zusammensacken der Gummihülle nach. Hannah (Gesine Cukrowski) kann es nicht fassen.

Desinteressiert am Mann

Denn erstens hat sich Magdalena bisher als so desinteressiert an ihrem Mann gezeigt und als so zerstreut und realitätsfern, dass Hannah ihr weder dieses Wissen über ihren Mann noch diese Form der Hingabe zugetraut hätte. Zweitens ist in Hannahs Programm der unabhängigen Erfolgsfrau ein Zulassen von Schwäche eine No-go-Area. Und drittens: Ein Mann, der nicht merkt, dass er statt der Gummipuppe seine Frau in Armen hält, also wirklich …

Mit Hannah ist auch das Publikum im Renaissance-Theater äußerst verdutzt. Vielleicht weniger, weil man Magdalena unterschätzt hat – dass sie mehr über Roman weiß, als dieser über sich selbst, wurde schon deutlich. Sondern vor allem erstaunt das virtuose Spiel der Verwandlung, mit dem Rosmair zwischen ihrer Magdalena-Figur und der Gummipuppe hin- und herswitcht.

Leider sind solche Momente rar in Torsten Fischers Inszenierung von „Wir lieben und wissen nichts“ von Moritz Rinke im Renaissance-Theater. Zu wenig Entwicklung und Überraschung ist den vier Figuren gestattet, zu sehr rattern sie in einer von Anfang an auf komische Übertreibung gestellten Betriebstemperatur durch den Text.

Das Stück, das seit seiner Uraufführung 2012 auf den Spielplänen von mehr als 30 Theatern steht, erzählt von der Begegnung zweier ungleicher Paare, die sich gerade in ihrem Nichtzusammenpassen perfekt zu spiegeln glauben. Hannah, Atemtherapeutin im gehobenen Management, spottet über die randständigen Themen, die ihr Freund Sebastian (Hans-Werner Meyer) für Vorworte kulturgeschichtlicher Bücher schreibt; er wirft ihr den Verrat früherer Ideale vor.

In Magdalena sieht er eine verwandte Seele, zumal sie gleich auf seine Gesprächsangebote über entlegene Orgienkulte einsteigt. Wissend, damit sowohl Hannah wie ihren Mann Roman (Tonia Arango) vor Ungeduld die Wände hochzutreiben. Müssen doch eine Schlüsselübergabe, ein Satellitenabschuss und eine Kennwortsuche in weniger als einer Stunde ihren Abschluss finden.

Allein mit diesen beiden Kompositionselementen, Zeitdruck und Verzögerung, spielt die Inszenierung zu wenig und setzt allein auf das atemlose Hetzen. In einem Interview im Programmheft betont der Autor Moritz Rinke, wie wichtig ihm die Hilflosigkeit seiner Figuren in der Liebe ist. Aber gerade die Liebe wird nicht fühlbar im Renaissance-Theater, sie scheint nur unglaubhafte Behauptung.

Ebenso wenig wird aus dem Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach einem geschützten Raum der Intimität und der Forderung nach mehr Transparenz herausgeholt. Der Text liefert eigentlich Steilvorlagen, dies als einen strukturellen Konflikt zu verstehen, der sich wie eine Zange um das Private legt. Doch wenn Roman, Manager der Energieversorgung eines Satelliten, von seinem Projekt mit missionarischem Eifer redet und Sebastian eine Tirade gegen die Entfremdung im Netzzeitalter entgegenhält, ist es zu einfach, beide nur als lächerlich zu empfinden.

Schade. Eine gute Komödie auch mal differenziert inszeniert zu sehen wäre eine feine Überraschung gewesen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Wieder im Renaissance-Theater: 16.–20. 4, 20 Uhr; 21. 4. 16 Uhr; 22. 4. 20 Uhr; 20.–23. 5. 20 Uhr