Und Iman hat doch nur zu ihrer eigenen Freude gesungen

FESTIVAL Eine eigene Stimme finden, dabei den Dialog stets im Blick behalten: Die 2. Arabischen Filmtage eröffnen dem Zuschauer gerade viele Fenster

Eindringliche Berichte aus Ländern, in denen staatliche und religiöse Zensur herrscht

Elia Suleiman ist ein Beobachter; durch Fenster- und Türrahmen, über Mauern schaut er den Geschehnissen zu, richtet seinen Blick auf die eigene Familie und seine Nachbarn, mitunter sogar auf sich selber, denn er ist zugleich Regisseur und der sich selber darstellende Protagonist in dem Spielfilm „The Time That Remains“. Darin erzählt er die Geschichte seiner Familie seit dem Jahr 1948, als die Hagana, die Vorläuferorganisation der israelischen Armee, Nazareth einnahm und somit Israel gründeten, bis heute.

„The Time That Remains“ ist ein langsamer, vorsichtiger Film voller Humor, der eine abwesende Anwesenheit beschreibt: Suleiman fühlt sich als arabischer Israeli wie ein Gespenst in der Stadt, in der er aufgewachsen ist, deswegen existiert er in seinem Film nur als Beobachter, nicht als Handelnder.

2009 lief „The Time That Remains“ im Wettbewerb von Cannes, vergangenen Mittwoch eröffnete der Film das 2. Arabische Filmfestival in Berlin. Das ist passend gewählt, denn in vielerlei Hinsicht steht er exemplarisch für das Programm: Suleiman hat einen diplomatischen Film gedreht, der einerseits deutlich den Wunsch nach einer eigenen Geschichtsschreibung, einer eigenständigen Stimme und Selbstdarstellung formuliert, andererseits versucht, niemandem auf die Füße zu treten, den Dialog immer im Blick behält.

Auch den Veranstaltern geht es darum, ein heterogenes Bild, nicht nur des arabischen Kinos, aber auch der arabischen Probleme und damit der Menschen zu vermitteln. Es geht darum, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu thematisieren, aber auch an ihnen zu kratzen und so zumindest die Hoffnung zu formulieren, dass sie zu ändern seien. Vor allem sollen darüber hinaus aber an Fremdzuschreibungen gerüttelt werden.

So zieht sich durch fast alle Filme der Wunsch nach Selbstdarstellung. Filme wie „Amreeka“, das Debüt der in Amerika lebenden Cherien Dabis, berichten aus dem Inneren der Migration, einem Schwerpunktthema des Festivals. „Amreeka“ ist ein herzerwärmender, humorvoller Film über eine Mutter, die mit ihrem Sohn von Ramallah in den Mittleren Westen der USA zieht und sich dort erst einmal zurechtfinden, aber auch von einigen Wunschvorstellungen befreien muss.

„Passion“, der die Retrospektive des syrischen Filmemachers Mohamed Malas eröffnet hat, rekonstruiert hingegen eine wahre Begebenheit: Iman lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in der syrischen Stadt Aleppo, als ihr die Liebe zur Musik zum Verhängnis wird. Ihre männlichen Verwandten können sich nicht vorstellen, dass sie nur zu ihrer eigenen Freude singt, vermuten eine Affäre und bringen Iman letztendlich um. „Passion“ ist Malas erster, unabhängig finanzierter Spielfilm, man sieht ihm die widrigen Produktionsbedingungen und die fehlende finanzielle Unterstützung an. Das ist es aber nicht, was den Film ausmacht: Er berichtet sehr eindringlich aus einem Land, in dem immer mehr Nachrichten und Kulturproduktionen der staatlichen und religiösen Zensur zum Opfer fallen.

Es geht darum, an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu kratzen

Es lohnt sich, durch die vielen Fenster zu schauen, die die Filmemacher für ihre Zuschauer öffnen und sich auf das Programm des Festivals einzulassen, das kaum kontrast- und abwechslungsreicher sein.

NINA SCHOLZ

■ Programm unter www.alfilm.de