abgehängtes prekariat
: Macht den Mund auf, Politiker!

Man traut seinen Ohren nicht: Den Sozialdemokraten wurde durch eine Studie aus dem eigenen Haus klar gemacht, dass Armut mit Menschen zu tun hat und nicht nur mit Zahlen. Ist zu hoffen, dass sie zudem erkennen, dass die Politiker bei der Armutsbekämpfung gefordert sind? Immerhin: In Berlin will die SPD nun eine Programmdiskussion zum Thema Armut anzetteln.

KOMMENTAR VON WALTRAUD SCHWAB

Berlin ist in einer besonderen Situation: Hier ist die Armut schon deshalb größer als in anderen Städten, weil Berlin größer als andere Städte ist. Die Armuts-Hauptstadt ist ein Armuts-Laboratorium: Nirgendwo gibt es so viele Menschen, deren soziale Teilhabe sich darauf beschränkt, bei Lidl oder Aldi einzukaufen und Fernsehen zu gucken. Nirgendwo gibt es so viele junge Leute, die nie eine Chance auf eine Arbeit haben werden. Nirgendwo aber gibt es auch so viele Arme, die sich mit Kreativität am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Und nirgendwo gibt es eine politische Klasse, die sich so schamlos am Gemeinwesen bereicherte. (Sie sind moralisch die wahre Unterschicht.)

Wenn alle Politiker von Rot-Rot nur einen Funken Ehrlichkeit haben, dann stimmen sie nicht in den Chor derer ein, die den Armen nun die Schuld an der Armut geben. Im Gegenteil: Die Berliner müssen sich lautstark auf der bundespolitischen Ebene einmischen. Nicht mit Verschärfungen von Hartz IV, sondern mit Unterstützung, die Anreize zum Handeln schafft. Nicht mit Diskreditierung der Armen, sondern mit Konzepten, die die Armen mit erarbeitet haben. Nicht mit neuen Umverteilungskosten, die Reiche begünstigen, sondern mit einer Politik, die die Armutsprofiteure in die Verantwortung zieht. Eine Programmdiskussion wird dafür wohl allein nicht ausreichen.