Schattenspiele

Die Gräuel des Balkankrieges lassen sie nicht los: Neuentdeckung Viktorija Malektorovych besticht als undurchschaubare Ana an der Seite von Jürgen Vogel im Drama „Mutterglück“ (ARD, 20.15 Uhr)

Von Christian Buss

Die Vergangenheit ist ein widerborstiges Ding. Sie lässt sich nicht löschen und nicht leugnen, nicht abschütteln und nicht töten. Man kann in der Gegenwart so viel Schmerz verbreiten, wie man will – der Schmerz, der einem in einer anderen Zeit und einem anderen Leben zugefügt wurde, wird so natürlich nicht aufgewogen. In diesem Film sterben Kinder, brechen Männer mit Bauchschüssen zusammen oder winden sich unter Rattengift-Krämpfen. Ein bisschen viel Tod und Verderben für das langsame Leben im trüben Umland von Hamburg.

Dieser unvermittelte Einbruch des Schreckens in die Ereignislosigkeit, das merkt man schnell, muss etwas mit der undurchschaubaren Ana (Viktorija Malektorovych) zu tun haben. Die floh einst aus dem Kosovo, verlor angeblich später beim Brand in Deutschland Mann und Tochter und lebt nun mit ihrem anderen Kind beim Bauern Joachim (Jürgen Vogel). Die beiden heiraten, sie wird noch mal schwanger, er jubiliert im Kirchenchor seliger denn je. Doch dann taucht ein unangenehmer Typ (Andreas Schmidt) auf, der behauptet, Anas tot gesagter Ehemann zu sein. Und schließlich ertrinkt ihr sechsjähriger Junge beim Angeln. Was geht hier vor?

Wer die Frage beantworten will, muss Geduld aufbringen. Regisseur Christian Görlitz verlangt dem Zuschauer wieder einiges ab. Der Fernsehmann und Serienprofi – und mit 61 renommiert genug, schwierige Stoffe durchzusetzen – ist einer der risikofreudigsten Vertreter des Fachs. Um in die verschütteten Bewusstseinsschichten seiner Protagonisten vorzudringen, experimentiert er gern mit Form und Format. Manchmal ist das Resultat großartig, so wie das Suiziddrama „Außer Kontrolle“, in dem Josef Bierbichler ohne jede Rührseligkeit den Lebensmüden gab. Manchmal ist es weniger großartig, so wie der Sektenkrimi „Die Verlorenen“, für den gerade erst Karoline Eichhorn durch eine wirre Story um Glaube und Gewalt irrte.

„Mutterglück“, eine Mischung aus Krimi-Groteske und Seelenerkundung, hat zwar Schwächen (ein paar der Charaktere etwa werden zu halbherzig in die Handlung geschmissen). Doch durch die geschickt in Szene gesetzte unterschwellige Bedrohung, der die Figuren ausgesetzt sind, kann Görlitz für deren verschüttete Konflikte sensibilisieren. Die Psychose der Heldin, hervorgerufen durch die Gräuel des Balkankrieges, steht hier nicht als bloße Behauptung am Anfang des Films. Sie schleicht sich vielmehr dramaturgisch klug und dank der hierzulande noch unbekannten ukrainischen Schauspielerin Malektorovych durch die Hintertür. Ein subtiles Fernsehspiel zur Allgegenwärtigkeit von Vergangenheit.