Die Söhne Fürths

Die Doku „Die Kissinger-Saga“ (ARD, 23.15 Uhr) huldigt den Brüdern Walter und Henry. Kritisches bleibt außen vor

Es ist eigentlich kein Dokumentarfilm, den die ARD heute spät abends serviert: „Die Kissinger-Saga“ von Evi Kurz, sonst Moderatorin der „Frankenschau“ im Bayerischen Fernsehen, ist eine Lobhudelei auf die Brüder Walter und Henry Kissinger mit dem Ziel, die Stadt Fürth möglichst viel vom Glanz ihrer berühmten Söhne abbekommen zu lassen.

Kommt das Interesse am Sujet aus der Welt der Politik, so ist es doch ein gänzlich unpolitischer Film, der da entstanden ist und der zahm und unkritisch das Leben der beiden Brüder würdigt, wie man es sonst nur von Nachrufen gewohnt ist. Die entscheidende Frage, warum insbesondere Henry Kissinger so geworden ist, wie er wurde, an welchem Punkt seiner Entwicklung eigentlich die Grundlage für seine spätere Außenpolitik gelegt wurde, bleibt unbeantwortet. Der Film zeichnet in Interviews und Gesprächen mit Walter und Henry Kissinger selbst, aber auch mit ehemaligen Nachbarn und Freunden der Familie die Kindheit und Jugend der beiden Brüder in Fürth nach, bevor sich die Familie als deutsche Juden 1938 gerade noch rechtzeitig zur Flucht vor dem Naziregime in die USA entschließt.

Ein paar Jahre später kehrt Henry Kissinger als Soldat der US-Armee nach Deutschland zurück, und – die vielleicht stärkste und wichtigste Szene des Films – begründet im Rückblick, warum er keine Rachegelüste hegt, sondern auf Neuaufbau und Verständigung setzt. Das ist vielleicht jenes Schlüsselmoment, von dem Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher im Film später sagen, das große Verdienst Kissingers aus deutscher Sicht sei es gewesen, im Ausland Vertrauen in die Ehrlichkeit der Nachkriegsdeutschen aufgebaut zu haben.

Der Aufstieg der Kissingers in den USA – Henry wird unter Präsident Nixon zunächst Nationaler Sicherheitsberater, dann 1973 Außenminister, sein Bruder ein überaus erfolgreicher Unternehmer – wird im Zeitraffer beschrieben. Der Film unternimmt gar nicht den Versuch, Henry Kissingers Politik nachzuzeichnen oder dazu gar kritische Stimmen einzufangen. Kissinger wird portraitiert einerseits als Karrieremensch, andererseits als umfassend informierter und klar sehender Diplomat, der mit allen Wassern gewaschen ist und schließlich den Friedensnobelpreis für die „Beendigung des Vietnamkriegs“ erhält. Dass die in Wirklichkeit lediglich die Vietnamisierung des Krieges und dieser Friedensnobelpreis wahrscheinlich einer der schlimmsten Fehlgriffe des Nobelkomitees war; dass Kissinger wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile und unter der Pinochet-Herrschaft vom US-Journalisten Christopher Hitchens in dessen Buch „The Kissinger Files“ diverser Verbrechen angeklagt wird – nichts davon erfahren die ARD-ZuschauerInnen. Stattdessen: viel Stolz auf Fürth und große Verbundenheit der Brüder mit der alten Heimat. Bernd PICKERT