Murat Kurnaz fürchtete um sein Leben

Der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz erneuert in der ARD seine Misshandlungsvorwürfe gegen die Bundeswehr. Zugleich stellte die Staatsanwaltschaft Bremen gestern das Verfahren gegen ihn ein. Der Grund ist mangelnder Tatverdacht

AUS BREMEN JAN ZIER

Murat Kurnaz ist ein ruhiger Ankläger, kommt ohne jeden Pathos aus, ohne die Attitüde eines Märtyrers. Nur manchmal stockte ihm die Stimme, als er am Montag in der ARD-Talkshow „Beckmann“ ein zweites Mal seine Geschichte erzählte: Jene Torturen, die er mehr als vier Jahre lang im US-Gefangenenlager Guantánamo erlitten hat.

Dabei erneuerte der 24-Jährige seine bereits im Stern geäußerten Misshandlungsvorwürfe gegen die Bundeswehr. „Ich habe keine Zweifel, dass es Deutsche gewesen sind. Sie haben perfektes Deutsch gesprochen, und auf ihrer Uniform habe ich die deutsche Flagge gesehen“, sagte der in Bremen geborene Türke.

Einer der beiden deutschen Soldaten habe ihn an den Haaren gezogen und gefragt: „Weißt du, wer wir sind? Wir sind die deutsche Kraft. KSK.“ Das Verteidigungsministerium bestritt zunächst, dass das Kommando Spezialkräfte (KSK) zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt vor Ort war. Ein hochrangiger Offizier der Bundeswehr musste jedoch mittlerweile zugegeben, bereits im Dezember 2001 in Kandahar stationiert gewesen zu sein. Kurnaz war im gleichen Monat während einer Pakistanreise verhaftet und dann zunächst in ein US-Lager am Flughafen von Kandahar verbracht worden.

Schon kurze Zeit danach hätten deutsche Soldaten ihn aufgesucht, sagte Kurnaz – und mit dem Kopf auf den Boden geschlagen und getreten. Er sei „ganz sicher“, so Kurnaz, dass er beide Soldaten identifizieren könnte. Im Ministerium will man diese Vorwürfe nach eigenen Angaben zwar „lückenlos aufklären“, muss dabei jedoch ohne Kurnaz’ Aussage auskommen. „Er hat sich entschieden, nicht mit dieser Kommission zu kooperieren“, sagte sein Anwalt Bernhard Docke gestern. Das Ministerium wolle „mit einer gezielten Presse- und Informationspolitik“ die Glaubwürdigkeit seines Mandanten erschüttern, so der Vorwurf des Bremer Strafverteidigers, der ebenfalls bei Beckmann zu Gast war.

Dem BND-Untersuchungsausschuss werde der ehemalige Häftling jedoch Rede und Antwort stehen, kündigte Docke an. Dessen Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU) meldet in der ARD schon einmal Zweifel an. „Der Vorwurf, deutsche Beamte hätten Kurnaz misshandelt, klingt für mich absurd.“

In dessen Worten hört sich das ganz anders an: „Ich bin davon ausgegangen, dass ich diese Haft nicht überlebe“, sagte Kurnaz – in dem gleichen nüchternen Ton wie zuvor. Man habe ihn mit Elektroschocks gefoltert, an seinen Händen aufgehängt, seinen Kopf in einen Kübel mit Wasser getaucht. Auch sei er während seines Hungerstreiks zwangsernährt worden, erzählt er. Dieser Vorwurf ist neu. „Man wird an Armen und Füßen und an allen Gelenken gefesselt. Dann haben sie mir eine Plastikröhre in die Nase gestopft.“

Interviews will Kurnaz vorerst keine mehr geben – sagt sein Anwalt. „Weitere Neuigkeiten gibt es derzeit nicht.“ Und überhaupt: Der gelernte Schiffbauer will eigentlich nur einer unter vielen sein. „Ich bin hier aufgewachsen. Ich unterscheide mich nicht von anderen Deutschen.“ Und so soll sich auch sein Leben „danach“ nicht von dem der anderen unterscheiden: „Ich will wieder heiraten. Ich will wieder Schiffe bauen. Ich will eine Familie haben.“

Mit Material von AFP