Das Beste aus beiden Welten

MAUERFILM Der Titelheld von Peter Timms Komödie „Meier“ ist ein heute kaum noch denkbarer Typ von DDR-Bürger: Statt rüberzumachen, pendelt er lieber zwischen West- und Ost-Berlin

Selbst die Staatsorgane kommen bei Timm mit mildem Spott davon

Meier ist kein vorzeigetauglicher Repräsentant des deutschen Volkes. Körperhaltung und Frisur erinnern eher an den jungen Marius Müller-Westernhagen, und einen Mitgliederausweis der Partei hat er zum Leidwesen seines Vorgesetzten auch nicht. Kein Wunder, dass in seiner Tapeziererbrigade intellektuelle Querköpfe wie der Neue, Kalle Vorwerk, landen („Hat Geschichte studiert, sie aber nicht richtig begriffen“).

Um die Truppe bei Laune zu halten, wurde Meiers Brigade gerade wieder von der Kommission für die Auszeichnung hervorragender Kollektive beim Ministerium für Bauwesen vorgeschlagen, zum fünften Mal bereits. Dafür gab es in der DDR die Medaille für verdiente Aktivisten. Meier findet die DDR schon ganz schau, nur vielleicht etwas zu klein gedacht.

Da sind zum Beispiel die Tapeten mit den hässlichen Mustern, mit denen er und seine Brigade ostdeutsche Wohnzimmer zukleistern müssen. Oder der Umstand, dass es im Fischrestaurant Gastmahl des Meeres keinen Fisch gibt (Dieter Hildebrandt mit einem Kurzauftritt als unerschütterlicher Kellner: „Hamwanich!“), nur die Wahl zwischen Makrele gebraten, Makrele gekocht und Makrele gedünstet.

Meier ist ein windiger Entrepreneur in einer eigentlich ganz spaßigen Mangelwirtschaft. (Man erkennt das bereits an seinen weißen Anzügen, die zur selben Zeit im Westfernsehen auch in „Miami Vice“ zu sehen waren.) Es überrascht fast ein wenig, dass 1987, als Peter Timms „Meier“ in die Kinos kam, noch nicht dieser ideologische Absolutismus im deutschen Film vorherrschte, der in der großen „Aufarbeitungswelle“ seit den nuller Jahren überwiegt.

Timm, der später mit „Go, Trabi, Go“ und „Rennschwein Rudi Rüssel“ auch fragwürdige Beiträge zur gesamtdeutschen Komödienkultur beisteuerte, ist selbst in der DDR aufgewachsen. Er kam 1973 im Alter von 23 Jahren in den Westen, kennt also beide Seiten der Mauer. Und wie Meier ist auch er von den Vorzügen und Nachteilen hüben wie drüben gleichermaßen angetan. Meier hat nämlich von seinem Papa aus West-Berlin geerbt, und das Erste, was er mit dem Geld macht, ist, sich einen Westausweis zu besorgen und eine Weltreise zu machen. Um danach mit einem Besucherschein wieder nach Ost-Berlin einzureisen.

Großartiger Gedanke eigentlich. Auf solch eine Idee würde heute kein Drehbuchschreiber, der an einem Film über die DDR sitzt, mehr kommen: Meier genießt das Beste aus beiden Welten. „Billige Mieten, Eier, Milch, keine Nazis – das ist unsere Deutsche Demokratische Republik“, bringt es sein Kollege Erwin auf dem Punkt. Und die schönen Westprodukte wie Raufasertapeten, die er mit seiner Connection am Grenzübergang (bei Timm ein exemplarischer Ort, hier schaut er dem wahren West-Berliner aufs Maul, der in den Osten rübermacht, um Frauen aufzureißen) in großen Mengen in die DDR schmuggelt.

Seinem Vorgesetzten erzählt er, dass er die Tapete mit Spänen in einer selbstgebastelten Druckmaschine herstellt. Auch das Ministerium für Bauwesen zeigt sich begeistert („Das ist ja sozusagen Weltniveau!“) und erklärt Meier kurzerhand zum Helden der Arbeit.

Mit „Meier“ hat die Berliner Kino-Initiative „Berlin-Film-Katalog“ ein seltenes Exemplar des Mauerfilms aufgetan. Timm war erfinderisch bei seiner Simulation Ost-Berlins, einmal muss das Hauptgebäude der TU als Terminal vom Flughafen Schönefeld herhalten, und auch sonst findet er im alten Westen viele pittoreske Ecken, mit denen sich eine sozialistische Arte Povera nachahmen lässt. Selbst die Staatsorgane kommen bei ihm mit mildem Spott davon, wenn auch die Schlusspointe ein besonderes Bonmot bereithält. Die Raufasertapeten, die Meier in die DDR einschmuggelt, entpuppen sich als ostdeutsches Exportprodukt zur Devisenbeschaffung.

Um den Skandal zu vertuschen, muss Meier, der Fahnenflüchtling, schließlich zum Helden der Arbeit wider Willen ernannt werden. Mit August Bebel gesagt: „Der Sozialismus ist eine gute Sache, bloß die Sozialisten taugen nichts.“ ANDREAS BUSCHE

■ „Meier“: 17.–23. 4., Brotfabrik