„Die Zahlen werden manipuliert“

Ulla Jelpke fordert eine unabhängige Beobachtung der rechten Szene und einen Ausbau der politischen Bildung

taz: Frau Jelpke, Die Linkspartei fordert eine unabhängige Beobachtungsstelle der rechtsextremen Szene. Misstrauen Sie den staatlichen Behörden?

Ulla Jelpke: Die Bundestagsfraktionen der damaligen PDS, der SPD, der Grünen und der FDP haben im Jahr 1998 die Einführung einer unabhängigen Beobachtungsstelle beschlossen – lediglich die CDU stimmte dagegen. Bislang wurde der Beschluss aber nicht umgesetzt. Der Hintergrund war, dass Bund und Länder widersprüchliche Angaben zu rechtextremen Straftaten machen. Beim Datenaustausch zwischen den Ministerien des Innern, aber auch zwischen LKA und BKA gehen etliche Daten verloren.

In welcher Größenordnung bewegt sie sich?

Wir können das nur vermuten. Aber wenn Ermittlungsverfahren eingestellt werden, oder in einem Gerichtsurteil nicht explizit ein rechtsextremer Hintergrund erwähnt wird, tauchen diese Straftaten nicht in der Statistik auf.

Warum wurde der Beschluss nicht umgesetzt?

Die Ministerien stellen sich dagegen, weil sie keine Kompetenzen abgeben wollen. Stattdessen werden Zahlen durch das BKA, LKA und Verfassungsschutz je nach politischer Notwendigkeit manipuliert. Das nordrhein-westfälische Innenministerium sprach davon, dass es bei der Fußball-WM zu keinen nennenswerten Zwischenfällen kam. Dennoch stieg die Zahl rechtsextremer Straftaten im WM-Monat Juni rapide an.

Hat Nordrhein-Westfalen ein neues Problem mit der extremen Rechten?

Die Aktivitäten nehmen jedenfalls zu. Viele Neonazis, die nach der Wiedervereinigung in das Gebiet der ehemaligen DDR gingen, um dort Aufbauarbeit zu leisten, sind mittlerweile nach NRW zurückgekehrt. Ich merke das in meinem Wahlkreis in Dortmund. Die Aufmärsche nehmen zu, ganze Stadtteile sind mit neonazistischer Propaganda vollgeschmiert. Die Personen können sich frei bewegen. Obwohl die Namen bekannt sind, geschieht nichts.

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Zunächst einmal muss die Politik sich fragen: ‚Was ist unser Anteil?‘. Die restriktive Asyl- und Flüchtlingspolitik schürt den Fremdenhass. Außerdem müssen die Programme für die mobilen Beratungsstellen über den Sommer 2007 fortgeführt werden. Die Kontinuität muss aufrecht erhalten werden. Die Gruppen sind unbequem. Nicht nur für Neonazis – sie weisen auch auf die wunden Punkte in der Politik der etablierten Parteien hin, wo sie anschlussfähig ist für die Parolen der Rechten.

Aber sie werden erst aktiv, wenn schon etwas passiert ist.

Natürlich brauchen wir neben der Opferberatung auch Schwerpunkte in der Bildungsarbeit an den Schulen, bei den Jugendlichen. Auch Erwachsene müssen Zielgruppe einer solchen Arbeit sein. Wir müssen im täglichen Umfeld aktiv sein. Appelle allein reichen da nicht. Wir haben es nicht mit Protestwählern zu tun. Sie tun es aus Überzeugung.

INTERVIEW: HOLGER PAULER