Unterschichtsalat

Die Neue-Armut-Debatte hat die NRW-Landespolitik nicht erreicht. Ablehnung von der CDU bis zur Linkspartei

Jürgen Rüttgers ist zwar ein sozial bewegter NRW-Ministerpräsident und steht in einer Reihe philantropischer Promis neben Bono, Ute Ohoven und Heiner Geißler – doch in der neuen Unterschichten-Debatte hält er sich bislang zurück. Warum nur? Ist Rüttgers etwa sauer, dass diesmal nicht er, sondern SPD-Chef Kurt Beck den Medienhype über eine angeblich „neue Armut“ losgetreten hat. Wäre es nicht Rüttgers‘ Aufgabe gewesen, den „Lebenslügen“-Sommerinterviews nun eine zweite Welle von Urlaubsinterviews aus seinem südfranzösischen Herbstferiendomizil folgen zu lassen? Will Rüttgers „Vorsitzender der Arbeiterpartei in NRW“ bleiben und lehnt den Posten des Unterschichtführers deshalb ab? Die Meinungsführerschaft ist Rüttgers jedenfalls vorerst wieder los.

Statt dessen hat die schwarz-gelbe Landesregierung ihren CDU-Sozialminister Karl-Josef Laumann vorgeschickt – eher eine Notlösung. Der Münsterländer hat immerhin meistens einen roten Kopf. Das gibt seinen Beiträgen zum Thema „Unterschichten“ etwas Alarmierendes. Die Menschen brauchten eine Beschäftigung, „die ihrem Tagesablauf auch Sinn gibt“, sprach also Laumann. Sonst drohe die Isolation. Der Chef der CDU-Arbeitnehmer – der parteipolitischen Unterschicht der Konservativen gewissermaßen – beurteilte den Begriff „Unterschicht“ kritisch, „denn nach meinem Verständnis ist jeder Mensch in seiner Würde gleich“. Aha.

Nein, die Unterschichten-Debatte hat die NRW-Landespolitik nicht so richtig erreicht. Obwohl doch hierzulande viele der „Betroffenen“ leben. „Wenn ich durch Gelsenkirchen oder den Dortmunder Norden gehe, dann weiß ich, dass es Schichten gibt“, sagt DGB-Landeschef Guntram Schneider. Ist der klassische Unterschichtler also ein Nordrhein-Westfale? Hartz Vier im Revier, BVB- oder Schalkefan, Lidlpils trinkend, in kik-Klamotten vor Ramschläden sitzend und Gammelfleisch essend?

Der Begriff „Unterschicht“ allein sei schon diskriminierend, sagt die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Inge Höger. Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger fordert eine „nationale Armutspolitik“. NRW-SPD-Chef Jochen Dieckmann will einen Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes. Ob das den Armen hilft? Der Sauerländer und Vizekanzler Franz Müntefering scheint daran nicht zu glauben: „Es gibt keine Schichten in Deutschland.“ Klasse!

MARTIN TEIGELER