Das Amt ist jetzt öfters zu Hause

Die Sozialbehörde hat bei 95 gefährdeten Kindern Hausbesuche gemacht – ohne schlimmes vorzufinden. Über 400 Familien sollen noch überprüft werden. Mehr Stellen gibt es jedoch nicht

von Eiken Bruhn

Keine weiteren toten oder halbtoten Kinder entdeckten MitarbeiterInnen des Amts für soziale Dienste und freier Träger bei ihren Überprüfungen von Familien mit Drogen- oder Alkoholproblemen. Dies verkündete gestern die Staatsrätin beim Sozialsenator, Birgit Weihrauch. 95 Familien waren als „Sofortmaßnahme“ nach dem Tod des knapp dreijährigen Kevin unter die Lupe genommen worden, wobei nicht alle der 146 betroffenen Kinder tatsächlich Besuch von Amts wegen bekamen. 48 Kinder lebten bereits nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern, in anderen Fällen hätten Schulen oder Kindergärten bestätigt, dass die Kinder wohlauf seien, so Weihrauch. In zwei Familien sei mit dem Einverständnis der Eltern vereinbart worden, dass das jeweilige Kind in eine Pflegefamilie beziehungsweise eine Erziehungseinrichtung wechseln solle.

Außerdem sollen weitere 400 bis 500 Familien – die genaue Zahl steht noch nicht fest – mit Kindern unter 14 Jahren überprüft werden. Dabei geht es zum einen um Fälle, bei denen Kinder in den vergangenen zwei Jahren vorübergehend in staatliche Obhut genommen wurden und „dann ohne weitere Anschlussmaßnahme in die Familie zurück gekommen sind“, so Weihrauch. Zum anderen sollen Familien besucht werden, in denen in den vergangenen zwei Jahren ein so genannter „Familienkrisendienst“ im Einsatz war und bei denen nicht bekannt ist, wie es den Kindern geht.

Kinder über 14 Jahren würden nicht in Augenschein genommen, so Heidemarie Rose, Leiterin der Abteilung Junge Menschen und Familie beim Sozialsenator. Diese seien nicht so sehr wie kleine Kinder in Gefahr „zu verschwinden“, da ein Fehlen, etwa in der Schule, mehr auffallen würde. Sie räumte allerdings ein, dass gerade Mädchen, die misshandelt oder missbraucht würden, häufig still litten.

Wie die von SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen angekündigten zweimaligen Hausbesuche pro Woche in Zukunft zu leisten sind, konnte Staatsrätin Weihrauch gestern nicht sagen. Voraussichtlich würden auch hier Vereine, die in der Kinder und Jugendhilfe tätig sind, beauftragt. Das notwendige Geld solle extra zur Verfügung gestellt und nicht anderen Projekten genommen werden. Zusätzliche Stellen im Amt seien allerdings nicht geplant, so Weihrauch.

Angekündigt wurde gestern auch die Einrichtung einer „Clearingstelle“, die unter Beteiligung von externen Fachleuten über schwierige Fälle, wie den von Kevin, entscheiden soll. Damit soll offenbar verhindert werden, dass ein Leiter eines Sozialzentrums gegen eine Unterbringung eines Kindes außerhalb der Familie entscheidet, um Sparvorgaben einzuhalten.

Für Kopfschütteln sorgte die Nachricht, das Sozialressort wolle ein Berichtssystem aufbauen, um stets über die aktuellen Umstände, in denen ein Kind lebt, informiert zu sein. „Offenbar hat die Behörde bisher keinen Überblick darüber, wann ein Kind zuletzt mit welchem Ergebnis besucht wurde“, so der kinder und jugendpolitische Sprecher der Grünen, Jens Crueger.

Bereits Anfang des Jahres hatten alle Fraktionen der bremischen Bürgerschaft einstimmig gefordert, die Betreuung von Risikofamilien sowie die Abstimmung verschiedener Hilfesysteme zu verbessern. „Politik darf nicht erst handeln, wenn das Kind bereits sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist“, hatte der CDU-Abgeordnete Michael Bartels gesagt. Die wegen des Todes von Kevin zurückgetretene Sozialsenatorin Karin Röpke hatte in der Bürgerschaftsdebatte folgenlos darauf hingewiesen, dass dafür auch die Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten.